Gefährliche Wahrheit - Rice, L: Gefährliche Wahrheit
machten, indem sie ihr die Kehle durchschnitten.
Soweit Drake wusste, neigte er nicht zu Neurosen. Er war ein eiskalter Realist, durch und durch. Das waren keine Halluzinationen. Diese Bilder in seinem Kopf versetzten ihn deshalb derartig in Angst und Schrecken, weil sie eine mögliche Realität darstellten. Es waren keine Schreckensbilder aus irgendeinem Albtraum, aus dem man auch wieder erwachte, sondern Bilder aus dieser Welt, seiner Welt, und sie lagen nur einen Fehler weit entfernt.
Was zwischen diesen Bildern einer gebrochenen, blutenden Grace und einer gesunden, lachenden Grace stand, war er. Seine Stärke und seine Macht. Wenn er alles richtig machte, würde Grace leben. Wenn er einen Fehler machte, würde sie um den Tod betteln und mit einem Schrei auf den Lippen krepieren.
Als Drake am späten Nachmittag leise die Bibliothek betrat, hielt er inne. Grace lag mit geschlossenen Augen auf der Couch. Vielleicht schlief sie. Sie hatte in den vergangenen Tagen beinahe ununterbrochen gearbeitet und dabei Herausragendes geschaffen. Zwischendurch machte sie ab und zu ein Nickerchen auf der Couch.
Als er jetzt eintrat und sie dort liegen sah, fühlte er einen stechenden Schmerz in seiner Brust. Einen entsetzlichen Augenblick lang fühlte es sich an, als ob ihm eine Axt den Brustkorb gespalten hätte.
Sie war einfach so verdammt schön. Alle anderen schönen Frauen, die er gekannt und gefickt hatte, verschwanden aus seinem Kopf wie eine Wolke, die ein Windstoß zerpflückte.
Sieh sie dir nur an , dachte er. Auf der Couch zusammengerollt, die Augen geschlossen, den Kopf zurückgelegt.
Das flackernde Feuer liebte ihr Gesicht. Es verlieh der perlenfarbenen Haut einen rosigen Schimmer, betonte die hohen Wangenknochen und den vollen, üppigen Mund. Im V-Ausschnitt des Pullovers warfen die zarten Schlüsselbeine winzige horizontale Schatten. Ihr Haar schien im Feuerschein lebendig zu werden; das Feuer spiegelte sich in zahllosen kleinen Schwesterflammen in den glänzenden Tiefen ihrer Locken.
Alles an ihr war so zart, sogar zerbrechlich. Die schmalen, eleganten Künstlerhände lagen still und gefaltet in ihrem Schoß.
Drake hatte einmal mit ansehen müssen, wie ein afghanischer Kriegsherr die kleinen Hände einer Dienerin mit einem Hammer zertrümmert hatte, nur weil sie ein wenig von dem qorma , dem heißen Lammeintopf, auf seinen Schoß gekleckert hatte. Drake war nicht in der Lage gewesen, ihn davon abzuhalten, da sie sich in einem Raum voller bewaffneter Wachen des Kriegsherrn befunden hatten.
Später war es Drake zu seinem großen Vergnügen gelungen, den widerlichen, missratenen Kopf dieses Mannes ins Fadenkreuz seines Gewehrs zu bekommen und sanft den Abzug durchzuziehen.
Er setzte sich vorsichtig neben Grace, um ihren Schlaf nicht zu stören.
Aber sie schlief gar nicht. Sie wandte den Kopf nach ihm um und öffnete die Augen. Im Halbschatten leuchteten sie wie Fragmente des Ozeans.
Er berührte sanft ihr Gesicht. „Hab ich dich gestört? Das wollte ich nicht.“
„Nein.“ Ihre Lippen kräuselten sich leicht. „Ich hab nicht geschlafen. Ich habe nur … nachgedacht.“
Sein Herz hämmerte schmerzlich gegen seinen Brustkorb, aber diesmal nicht vor Sehnsucht.
„Worüber … ?“ Seine Stimme war heiser. Irgendwann musste sie ja zu der Erkenntnis kommen, dass er ihr Leben ruiniert hatte. „Worüber hast du nachgedacht?“
„Über alles“, sagte sie leise. Ihre Augen blickten unverwandt in die seinen. „Ich nehme an, wir werden für eine ganze Weile hierbleiben, oder nicht? Ich meine, die Situation wird sich ja vermutlich nicht in nächster Zeit in Wohlgefallen auflösen.“
Niemals , dachte Drake.
„Es tut mir leid“, sagte er. Er hätte gerne mehr gesagt, aber es kam nichts mehr heraus. Es tut mir leid – was für ein lächerlicher Satz angesichts dessen, was sie alles verloren hatte. Ein Nichts, das nicht das Geringste an all dem Leid änderte, das er dieser schönen Frau zugefügt hatte. Er hatte ihr Leben aufs Spiel gesetzt, sie ihres Heims beraubt, und seinetwegen war ein guter Freund von ihr gestorben. Es tut mir leid war nichts, aber es war das Einzige, was er ihr sagen konnte.
Sie nickte ernst, als ob sie all das verstanden hätte, was diese wenigen Worte vermitteln sollten. In ihrem Blick lag kein Tadel, kein Ärger, keine Wut. Genau genommen lag in ihrem Blick etwas, das ihn beinahe genauso sehr erzürnte wie diese Mistkerle, die sie angegriffen hatten.
Resignation. Das war, was
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