Gefährlicher Verführer
seiner Natur wurde immer stärker, tödlicher. Darius gab sich seinen
Instinkten rückhaltlos hin, sodass jeder Anschein der Zivilisation von ihm abfiel.
Das Raubtier hatte sich befreit und kannte keine Gnade.
Tempest. Ihr Name war die letzte
geflüsterte Warnung seines Verstandes, das Einzige, das ihn davon abhielt,
sich in seiner Rachsucht zu verlieren. Aber er durfte nicht wahllos jeden
töten, der seinen Weg kreuzte. Er musste sich konzentrieren. Man hatte Tempest
entführt. Sie beantwortete seinen Ruf nicht, doch das musste nicht bedeuten,
dass er sie für immer verloren hatte. Falls Tempest starb, würde er es tief in
seiner Seele spüren. Nein, die Entführer hatten sie bewusstlos geschlagen,
sodass er sie auf telepathischem Wege nicht erreichen konnte. Sie hatten ihm
eine Falle gestellt, und seine Arroganz hatte ihn hineintappen lassen. Darius
hatte Desari für das erklärte Ziel der Attentäter gehalten und sich ganz auf
ihren Schutz konzentriert. Dabei hatte Cullen von Anfang an Recht gehabt: Sie
hatten es auf Tempest abgesehen.
Julian, sie haben Tempest
entführt. Bleib hier und beschütze Desari und Syndil. Alarmiere Dayan und
Barack. Ich werde sie verfolgen.
Es ist eine Falle.
Das weiß ich. Warum sollten sie
es sonst ausgerechnet auf Tempest abgesehen haben, da wir alle hier versammelt
sind? Sie benutzen sie als Köder. Ich werde ihnen folgen.
Schnell entfernte sich
Darius von der Konzerthalle und der Menschenmenge. Draußen im Freien sandte er
einen Ruf in die Nacht hinaus und ließ sich die Antwort von einem Windstoß
zutragen. Dann nahm er die Witterung seiner Beute auf, scharf und
durchdringend. Darius warf sich in die Luft, während er sich gleichzeitig in
eine riesige Eule verwandelte. Weit unter sich entdeckte er ein Auto, das mit
hoher Geschwindigkeit auf der kurvenreichen Hauptstraße in die Berge hinauffuhr.
Sie würden Tempest in ein Versteck in der Nähe bringen. Und ihn damit in die
Falle locken.
Darius steuerte im Sturzflug
auf die Windschutzscheibe des Wagens zu, die riesigen Schwingen weit
ausgebreitet. Der Raubvogel nahm die gesamte Scheibe ein, und der Fahrer des
Wagens schrie auf und duckte sich instinktiv. In letzter Sekunde bremste Darius
den Sturzflug ab und löste sich scheinbar in Luft auf. Das Auto geriet ins Schlingern
und kam den Klippen gefährlich nahe. Das Heck prallte an einem Felsen ab und
schlitterte mehrere Meter, ehe es dem Fahrer gelang, den Wagen wieder unter
Kontrolle zu bringen. Fluchend klammerte sich Brady Grand am Vordersitz fest.
»Was fällt dir denn ein, Martin? Wir hätten beinahe einen Unfall gebaut. Wenn
es nicht anders geht, musst du eben langsamer fahren. Wallace will sie
unbedingt lebendig haben. Wir brauchen Informationen, und der einzige Weg,
einen von ihnen zu uns zu locken, ist, eine Frau in unsere Gewalt zu bekommen.«
»Hast du es denn nicht
gesehen?« Martin wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Es war eine Eule, die
größte, die ich je gesehen habe.«
»Da war nichts«, herrschte
Brady ihn an. »Du bist nur feige. Dabei sollst du doch nur fahren.« Brady
strich Tempest das rotgoldene Haar aus dem Gesicht, um die Platzwunde zu
untersuchen, die Martins Knüppel auf ihrer Stirn hinterlassen hatte. »Du hast
viel zu hart zugeschlagen. Sie blutet wie abgestochen.«
Eine Windböe erfasste das
Auto und drückte es auf die Gegenspur. Wie aus dem Nichts türmten sich
plötzlich finstere
Wolken am Horizont auf, in
denen Blitze zuckten. Es donnerte so laut, dass der Wagen bebte. Wieder zuckte
Martin zusammen und fluchte laut. »Die Sache gerät außer Kontrolle, Brady. Ich
sage dir, es ist eine Warnung. Wenn einer von ihnen so etwas fertig bringt,
will ich mich nicht mit ihm anlegen. Dann können sie die Frau haben.«
Martin bremste und steuerte
auf den Seitenstreifen zu. Brady versetzte ihm einen harten Schlag auf den
Hinterkopf. »Fahr weiter! So haben wir es doch geplant. Er wird uns folgen.
Und wir haben ein Gift, das ihn außer Gefecht setzen kann. Dann haben wir
tatsächlich einen von ihnen lebendig gefangen. Also fahr weiter.«
Eine Wolke, schwarz und
unheilvoll, strömte durch das Heckfenster, das einen Spalt offen stand. Dunkler
Nebel breitete sich im Inneren des Wagens aus und nahm allen die Sicht. Brady
griff nach der Frau, spürte jedoch, dass sie von ihm fortgezogen wurde.
»Nein! Ich bringe sie um!«
Hastig zog er seine Waffe und schoss, so schnell er nur konnte. Doch es war zu
spät. Die Nebelschwaden hatten sich bereits
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