Gefährlicher Verführer
Darius' beschwörender Stimme. Er gab ihr einen telepathischen Befehl.
Plötzlich hatte sie das dringende Bedürfnis, ihm zu gehorchen. Er war zum
Äußersten entschlossen. Niemand würde sich ihm widersetzen.
Als der Raubvogel wieder auf
sie zustürzte, stieß er einen lang gezogenen, schrillen Schrei aus. Tempests
Herz klopfte so heftig, dass sie fürchtete, es könne explodieren. So gefährlich
es auch klingen mochte, sie würde tun, was Darius von ihr verlangte. Es gab
keine andere Möglichkeit. Schon jetzt lockerte sich ihr Griff um die morsche
Baumwurzel, die sie niemals ohne Darius' Befehl losgelassen hätte.
Der Vogel schoss mit
ausgestreckten Klauen auf sie zu. Mit einem erstickten Schrei ließ Tempest die
Wurzel los. Gleich darauf fiel sie ins Leere. Der Raubvogel raste auf sie zu,
die Federn aufgestellt, die Flügel weit ausgebreitet. Im letzten Augenblick
schloss Tempest die Augen. Die scharfen Klauen des Vogels packten sie, drangen
durch ihre Kleidung schmerzhaft in ihre Haut. Dann sanken sie gemeinsam. Der
Vogel schlug heftig mit den Flügeln, um sich und Tempest in der Luft zu halten
und das Gewicht seiner Last auszugleichen. Tempests Schuhe schwangen hin und
her und schnürten ihr beinahe die Kehle ab, sodass sie sie mit beiden Händen
festhalten musste.
Ein brennender Schmerz
durchzuckte sie, ihren Hals, ihre Rippen. Der Adler grub seine Klauen fester in
ihren Oberkörper, während er sie in Sicherheit brachte. Selbst mit Darius'
Hilfe war es dem Vogel nicht möglich, Tempest wieder an den Rand der Klippe
zurückzubringen, also suchte der Vogel nach dem nächsten großen Felsvorsprung
und ließ sie dort fallen. Doch seine Klauen hatten sich in ihrer Kleidung
verfangen, sodass der Vogel heftig mit den Flügeln schlug, um sich zu befreien.
Tempest versuchte, ihm zu helfen und die scharfen Klauen aus ihrem Fleisch zu
lösen. Dann sank sie auf dem von Erde und Felsbrocken bedeckten Untergrund
zusammen, während der große Vogel sich wieder in die Lüfte erhob und davonflog.
Tempest drückte sich die
Hand auf die Rippen, und als sie sie zurückzog, war ihre Handfläche
blutverschmiert. Sie hustete, um den Druck auf ihrer Kehle zu lindern.
Trotzdem zog sie es vor, auf diesem Felsvorsprung zu sitzen, statt erschossen
zu werden oder in den sicheren Tod zu stürzen. Tempest richtete sich auf, um
ihre Verletzungen zu untersuchen und herauszufinden, wo sie sich befand.
Obwohl sie Darius gegenüber etwas anderes behauptet hatte, verfügte sie über
keinerlei Orientierungssinn.
Ich weiß. Bleib, wo du bist.
Tempest blinzelte. Sie war
sich nicht sicher, ob sie seine Stimme wirklich gehört oder es sich nur
eingebildet hatte. Darius war so weit von ihr entfernt. Sie versuchte, aufzustehen
und sich auf das Geräusch des Wassers zu konzentrieren. Wo war nur Brodrick?
Sie durfte nicht riskieren, ihm über den Weg zu laufen, musste jedoch unbedingt
das Wasser erreichen.
Warte auf mich, Tempest. Darius' Stimme klang
lauter, und Tempest wusste, dass er ihr einen deutlichen Befehl erteilt hatte.
Er hatte das Recht, sie
herumzukommandieren, da er sie schließlich immer wieder aus irgendwelchen
Schwierigkeiten retten musste, das gestand Tempest sich ein. Doch es gefiel ihr
trotzdem nicht. Sie stolperte auf den Bach zu und ignorierte ihre schmerzenden
Muskeln, so gut es ging. Der Vogel stieß einen Schrei aus, der offenbar für
Darius bestimmt war. Tempest fürchtete noch immer, dass Brodrick ihr irgendwo
auflauerte. Trotzdem konzentrierte sie sich darauf, den Bach zu erreichen.
Das Wasser war eiskalt, und
Tempest legte sich einfach hinein, um ihre brennenden Wunden zu kühlen und
wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Sie blickte zum blauen Himmel hinauf,
konnte jedoch nichts sehen außer dem aufgeregten Adler. Dann richtete sie sich
langsam auf und ging ans Ufer zurück. Die Kälte des Wassers und des Windes
drang allmählich bis tief in ihr Innerstes vor, und sie begann zu zittern.
Du hättest innerhalb der
Grenzen bleiben sollen, die ich abgesteckt hatte, sagte Darius ruhig.
Du und deine unsinnigen
Grenzen!, erwiderte Tempest aufgebracht. Obwohl sie es erwartet hatte, konnte sie es nur
schwer ertragen, dass Darius ihr einen Vortrag hielt, weil ein wahnsinniger
Reporter glaubte, eine Horde von Vampiren aufgespürt zu haben. Zum Teufel
damit! »Was redest du denn da? «, fragte sie sich laut. »Es gibt tatsächlich so
etwas wie eine Horde von Vampiren. Wie dem auch sei, jedenfalls ist es nicht
meine Schuld, dass
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