Gefährliches Geheimnis
machte sich daran, in großen, schwungvollen Buchstaben zu schreiben.
Sie wartete. Zum ersten Mal seit Tagen spürte sie einen Funken Hoffnung. Vielleicht fand Monk in Wien die Wahrheit und konnte Kristians Unschuld beweisen. Später, wenn Kristian frei war, würde sie sich damit auseinander setzen, dass Elissa Beck eine tapfere und schöne, lustige und freundliche Heldin gewesen war.
»Vielen Dank«, sagte sie und nahm den Brief, als
Pendreigh fertig war. »Haben Sie vielen, vielen Dank.«
Monk war nicht überrascht zu sehen, dass Kristian erschöpft aussah, beinahe abgemagert, als hätte der Schock von Elissas Ermordung und seiner Verhaftung ihm nicht nur allen Mut und alle Lebenskraft geraubt, sondern ihn auch körperlich angegriffen. Monk hatte das schon bei anderen Männern gesehen.
»Ich fahre nach Wien«, sagte er schnell, weil er wusste, dass sie nur wenige Minuten Zeit hatten. »Ich brauche jede Hilfe, die Sie mir geben können.«
Kristian schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht glauben, dass Max sie getötet haben soll«, sagte er leise. »Er hat sich vielleicht mit ihr gestritten, ist wütend geworden über das, was sie getan hat, dass sie … sich so vergeudet hat.« Der Schmerz in seiner Stimme war scharf wie die Klinge eines Rasiermessers. »Auch was sie mich und die Arbeit, an die ich glaube, gekostet hat. Aber er hätte ihr nie etwas getan!«
Es war scheußlich, darüber zu diskutieren, aber sie konnten sich nicht erlauben, auf Kosten der Realität Zurückhaltung zu üben.
»Niemann kam nach London, um sich mit Elissa zu treffen … nicht mit Ihnen«, sagte Monk. »Mehrmals.« Er sah Kristian zusammenzucken, und er sah auch die Verwirrung in dessen Zügen.
Kristian schüttelte den Kopf. »Er hätte ihr kein Haar gekrümmt«, wiederholte er mit heiserer Stimme.
»Ihr Hals wurde mit einem Ruck gebrochen«, erinnerte Monk ihn. »Wahrscheinlich so.« Er streckte einen Arm vor sich, als würde er jemandem mit der Hand den Mund zuhalten und dessen Körper mit dem anderen Arm an sich ziehen. Er machte eine rasche Bewegung. »Als hätten sie miteinander gekämpft, und er hätte versucht, sie festzuhalten, sie zu verrenken, vielleicht stand er mit
einem Fuß auf ihrem.«
Kristian schauderte, und sein Mund verzog sich.
»Er wollte sie wahrscheinlich nicht umbringen«, fuhr Monk fort. »Vielleicht wollte er nur, dass sie aufhört zu schreien.«
Kristian schloss die Augen. »Und Sarah Mackeson?«, fragte er flüsternd. »Wer sie umgebracht hat, hat es mit Ab- sicht getan!« Er schauderte. Phantasie oder eine Erinne- rung, so abscheulich, dass sie unerträglich war? Oder die Erkenntnis, das Max Niemann doch schuldig sein konnte?
»Erzählen Sie mir von ihm«, drängte Monk ihn.
»Kristian! Um Himmels willen, sagen Sie mir alles, was Sie wissen! Ich muss die Wahrheit herausfinden! Wenn es nicht Niemann war, muss ich das wissen. Aber jemand hat sie getötet … beide!«
Kristian versuchte, sich zusammenzunehmen, schien sich zu konzentrieren, aber er sagte immer noch nichts, als hätte die Vergangenheit ihn völlig gefangen genommen und die Gegenwart aufgehört zu existieren.
»Jemand wird dafür hängen!«, sagte Monk brutal.
»Wenn Sie sie nicht umgebracht haben, sollten Sie nicht zulassen, dass Sie derjenige sind! Schützen Sie jemanden?« Er hatte keine Ahnung, wen. Warum sollte Kristian sterben, um Max Niemann zu retten? Oder um etwas zu verbergen, was vor dreizehn Jahren in Wien geschehen war? Kristian konnte unmöglich denken, dass Callandra eine Rolle dabei spielte. Wusste er überhaupt, wie sehr sie ihn liebte? Monk bezweifelte es.
»Ich schütze niemanden!«, sagte Kristian mit über- raschender Klarheit, fast Wut. »Ich weiß nur einfach nicht, was ich Ihnen sagen soll! Ich habe keine Ahnung, wer sie umgebracht hat oder warum! Glauben Sie, ich will hängen
– glauben Sie, ich begreife nicht, dass ich mit großer
Wahrscheinlichkeit verurteilt werde?« Er sprach die Worte mit meisterhafter Kontrolle aus, aber als Monk ihm in die Augen schaute, sah er die Angst darin, schwarz und bodenlos und ohne Hoffnung, eine Brücke über den Abgrund zu bauen. Und wenn er am Ende ganz allein sein würde mit dem Schmerz seines Körpers und vor ihm nur Vergessen – wenn er alle Liebe, alle Freundschaft und alles Mitleid hinter sich gelassen hatte –, würde es nichts mehr geben, um sich daran festzuhalten.
»Sagen Sie mir, wo ich suchen soll!« Monk knirschte mit den Zähnen, entsetzt über die
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