Gefährliches Geheimnis
man kennt. Ich kann nicht behaupten, wir hätten Kristian je verstanden. Er war immer …« Sie zuckte kaum merklich die Schultern. »Ich bin mir nicht sicher, wie ich es erklären soll, ohne einen falschen Eindruck zu vermitteln. Er traf schnelle Entscheidungen, er wusste, was er wollte, er war der geborene Anführer, und andere Männer schauten zu ihm
auf, weil er keine Angst zeigte.«
»Er war ein Hitzkopf«, sagte Josef und sah Monk an, nicht Magda. »Er hörte selten auf die Vernunft, und er hatte keine Geduld. Aber was meine Frau zu sagen versucht, ist, dass er ein guter Mensch war. Die gewalttätigen Dinge, die er getan hat, tat er für ein Ideal, nicht aus Wut oder aus Begierden für sich selbst. Wenn er Elissa umgebracht hat, dann gab es dafür einen Grund, einen, der sich sicher strafmildernd auswirkt. Ich nehme an, das ist das, wonach Sie suchen, obwohl ich bezweifle, dass Sie es tatsächlich hier in Wien finden. Es ist alles zu lange her. Was auch immer sich hier ereignet hat, ist seit langem geklärt oder vergessen.« Er sah Monk an, so dass er den Schatten, der über Magdas Gesicht huschte, nicht bemerkte.
»Kannten Sie einen Mann namens Max Niemann?«, fragte Monk die beiden.
»Ich habe natürlich von ihm gehört«, erwiderte Joseph.
»Er war aktiv bei den Aufständen und hat es seither, glaube ich, weit gebracht. Es gab natürlich Repressalien, aber nicht lange. Niemann überlebte ziemlich gut. Es war klug von Kristian, Österreich zu verlassen, und für seine Frau sicher auch. Sie war« – er zögerte – »in gewissen Kreisen ziemlich berühmt. Aber ganz gleich, es fällt mir schwer, mir vorzustellen, dass jemand wegen ihrer Teilnahme an den Aufständen all die Jahre Rachegefühle gehegt und die weite Reise nach England gemacht hat, um sie umzubringen.« Er runzelte die Stirn. »Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen, aber ich versichere Ihnen, das ist wirklich zu unwahrscheinlich, als dass Sie Ihre Zeit damit vergeuden sollten.« Er machte eine Geste mit den Händen.
»Aber natürlich werden wir alles in unserer Macht Stehende tun. Haben Sie Namen, irgendjemanden, den Sie kennen lernen oder über den Sie Erkundungen einziehen möchten? Ich kenne mehrere Männer in der Regierung
und bei der Polizei, die helfen würden, wenn ich sie darum bitte. Wobei es klüger sein könnte, nicht zu erwähnen, dass Kristian selbst verdächtigt wird.«
»Es wäre hilfreich, ein paar andere Geschichten über seine Beteiligung an dem Aufstand zu hören«, sagte Monk und versuchte, sich Verwirrung und Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.
»Auch andere Meinungen über Kristian selbst.«
»Sie möchten Zeugenaussagen über seinen Charakter?«, fragte Magda schnell und warf Josef einen Blick zu, dann sah sie wieder Monk an. »Ich bin mir sicher, Vater Geissner wäre dazu bereit, auch nach London reisen, wenn das etwas nützen würde.«
»Vater Geissner?« Einen Augenblick war Monk ratlos.
»Unser Priester«, erklärte sie ihm. »Er ist ein hoch angesehener Mann, obwohl er die Aufstände unterstützt und sogar den Verwundeten auf den Barrikaden die Sakramente gespendet hat. Er wäre der beste Fürsprecher, den ich mir denken kann, und …«
»Absolut!«, stimmte Josef ihr augenblicklich begeistert zu. »Gut gemacht, meine Liebe. Ich weiß nicht, wieso ich nicht gleich an ihn gedacht habe. Ich werde Sie morgen zu ihm bringen, wenn Sie möchten.«
»Vielen Dank.« Monk griff nach der aussichtslosen Chance. Vielleicht konnte der Priester ihm ein klares Bild von Niemann zeichnen. Vielleicht hatte er auch die zarteren Gefühle beobachtet und nicht nur die farbigen Geschichten, die in den dreizehn Jahren entstanden waren und von denen die meisten von mutigen Taten handelten, von Loyalität oder Betrug, vom Tod und von der Wiedereinsetzung der alten Strukturen.
»Wir müssen ihn sowieso aufsuchen, um eine Messe für
Elissas Seele lesen zu lassen«, fügte Magda hinzu und
bekreuzigte sich.
Josef tat hastig dasselbe und senkte einen Moment den
Kopf.
Monk war völlig überrumpelt. Ihm war nicht klar gewe- sen, dass Kristian Katholik war. Eine weitere Dimension, die er nicht in Betracht gezogen hatte. Andererseits wusste er nicht einmal, welchen religiösen Hintergrund er selbst hatte! Er erinnerte sich nicht, ob er als Kind in die Kirche gegangen war. Wenn ein Glaube etwas wert war, dann sollte er doch das ganze Leben durchdringen? Er sollte der Fels sein, auf dem alles andere errichtet war, alle mora-
Weitere Kostenlose Bücher