Gefährliches Geheimnis
Ich werde für ihn beten und eine Messe für Elissa lesen, damit ihre Seele schließlich Frieden findet. Es wird viele geben, die ihre Erinnerung hochhalten und gerne daran teilnehmen. Ihnen viel Glück, Herr Monk.«
Monk trat, tief in quälende, schmerzliche Gedanken versunken, hinaus auf die Straße.
In London ging Kristian Becks Prozess weiter, jeder Tag schien schlimmer und vernichtender zu sein als der vorangegangene. Mills fasste sich, als Vertreter der Anklagebehörde, bei dem Verhör seiner Zeugen kurz, denn er spürte, dass Pendreigh verzweifelt bemüht war, die Beweisaufnahme in die Länge zu ziehen.
Hester saß in den Bänken, die für das allgemeine
Publikum reserviert waren, und wagte kaum, Callandra
anzuschauen, damit diese ihre wachsende Verzweiflung nicht bemerkte. Gleichzeitig sagte sie sich, dass das lächerlich war. Mills konnte nicht wissen, dass Monk in Wien war. Er war erfahren und intelligent genug, um die Zeichen dahingehend zu deuten, dass die Verteidigung keinen Beweis, keine Widerlegung hatte, ja nicht einmal so ernste Zweifel säen konnte, dass die Geschworenen sie in Erwägung ziehen mussten. Um das zu wissen, brauchte man nur etwas Menschenkenntnis – ein Auge, um Pendreighs Miene zu beobachten, die Konzentration, die leicht übertriebenen Gesten, wenn er sich bemühte, die Aufmerksamkeit der Geschworenen auf sich zu ziehen, und die wachsende Schärfe seiner Stimme, wenn seine Fragen immer abstruser wurden.
Mills hatte bereits alle polizeilichen und medizinischen Beweise vorgelegt, und Pendreigh hatte alles diskutiert, was auch nur im Entferntesten strittig war, sowie einiges, was dies nicht war. Mills hatte Zeugen dafür vorgeladen, dass Kristian der Polizei ursprünglich erzählt hatte, er sei zu der Zeit, als Elissa und Sarah ermordet wurden, bei Patientinnen gewesen, und weitere Zeugen, um zu beweisen, dass er gelogen hatte.
Pendreigh hatte zu zeigen versucht, dass es nur ein Irrtum war, der Fehler eines Mannes, der von einem kranken Menschen zum anderen hetzte, in Gedanken mit dem Lei- den beschäftigt und der Notwendigkeit, dieses zu lindern.
Hester hatte in die Gesichter der Geschworenen geblickt. Einen Augenblick glaubte sie, aufrichtigen Zweifel zu sehen. Sie schaute zu Kristian hinauf. Er war blass wie ein Gespenst. Nicht einmal die Konturen seiner Wangen und die sinnlichen Linien seiner Lippen konnten seinem Gesicht Leben einhauchen. Er mochte wissen, dass das, was Pendreigh sagte, der Wahrheit entsprach, aber in seinen Augen war keine Hoffnung, dass die
Geschworenen dies auch glaubten.
Hester konnte Callandra nicht ansehen. Vielleicht war das feige von ihr, möglicherweise war es Taktgefühl, sich bei einer Sache, die doppelt schmerzhaft sein musste, nicht aufzudrängen. Ganz egal, wie mutig Callandra war, sie konnte die Möglichkeit – die Wahrscheinlichkeit – nicht leugnen, dass man Kristian schuldig sprechen würde, wenn Monk nicht mit einem Wunder zurückkam. Fing Callandra jetzt auch in ihrer zitternden, dunkelsten Angst an zu fürchten, dass er es vielleicht getan hat? Wer konnte sagen, welche Gefühle Kristian erfüllten, als er vor dem Ruin stand, der ihn nicht nur persönlich traf, sondern auch das Ende all des Guten bedeutete, das er für diejenigen tun konnte, die unter Armut und Krankheiten, Schmerz, Einsamkeit und Verlusten litten? Er hatte so viel getan, und wenn er durch Schulden ruiniert wurde, hatte all das ein Ende.
Natürlich war es keine vernünftige Lösung, Elissa zu töten! Das konnte er keinen klaren, rationalen Augenblick gedacht haben. Aber in der Hitze der Verzweiflung, als er womöglich von einem neuen, noch erdrückenderen Verlust erfahren hatte, dass die Spieler hinter ihr her waren und er womöglich sogar das Haus verkaufen müsste, hatte er vielleicht die Kontrolle verloren, und seine gewalttätige, revolutionäre Vergangenheit war wieder ausgebrochen.
Ein schneller Griff, eine Drehung des Arms, und er hatte ihr den Hals gebrochen.
Und dann das Gleiche mit Sarah?
Nein! Nichts machte das begreifbar. Hester zitterte krampfhaft, obwohl es in dem Gedränge im Gerichtssaal sehr warm war. So etwas konnte Kristian unmöglich getan haben!
Pendreighs Stimme drang in ihr Bewusstsein, als er einen weiteren Zeugen für Kristians Charakter aufrief. Die Geschworenen langweilten sich bereits. Sie wussten, dass er ein guter Arzt war. Sie hatten ein Dutzend Zeugen gehört, die dies gesagt hatten, und sie glaubten ihnen. Es war belanglos. Die
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