Gefährliches Geheimnis
hohe Kerzen brannten. Herr Jakob war ein schlanker Mann mit dunklen, strahlenden Augen und einer schwarzen Kippah auf dem Kopf.
Erinnerungsfetzen kamen Monk in den Sinn, und mit großer Verlegenheit wurde ihm klar, warum sein Besuch auf solche Überraschung gestoßen war. Es war Freitagabend, kurz vor Sonnenuntergang, der Beginn des jüdischen Sabbat. Er hätte sich kaum einen schlechteren Zeitpunkt aussuchen können, um ein Familienmahl und eine religiöse Feier zu stören. Es war äußerst liebenswürdig, dass sie ihn überhaupt empfingen.
»Es tut mir Leid«, sagte er unbeholfen. »Ich bin schon seit einigen Tagen unterwegs und habe vergessen, was
heute für ein Tag ist. Es tut mir Leid, Frau Jakob. Ich belästige Sie. Ich kann morgen wiederkommen … oder … ist das noch schlimmer?« Wie sollte er ihnen seine Eile erklären, ohne Einfluss auf das zu nehmen, was sie ihm sagen würden?
Herr Jakob sah ihn sehr direkt und ohne mit der Wimper zu zucken an, aber es war kaum zu übersehen, dass er emotional tief bewegt war. »Sie sagten, Sie seien im Auftrag eines Freundes meiner Tochter Hanna hier. Wenn das stimmt, Herr Monk, dann sind Sie jederzeit willkommen, selbst am Sabbat.« Er hatte auf Englisch geantwortet, mit starkem Akzent, aber leicht zu verstehen. Monk hätte Ferdi gar nicht mitbringen müssen.
Monk formulierte seine Antwort sorgfältig. »Ja, das stimmt, Sir.« Erst hinterher wurde ihm klar, dass er sich diesem Mann fügte, indem er das Wort »Sir« benutzte. Es war ihm ganz natürlich über die Lippen gekommen. »Ich bin ein Freund von Kristian Beck, der gegenwärtig in ernsten Schwierigkeiten steckt, und ich bin in Wien, um zu sehen, ob ich ihm in irgendeiner Weise helfen kann. Es ist eilig, sonst würde ich Sie nicht länger stören.«
»Es tut mir Leid zu hören, dass er in Schwierigkeiten steckt«, antwortete Herr Jakob. »Er ist ein tapferer Mann, der bereit war, alles für seine Überzeugungen zu riskieren, was das Höchste ist, was jeder von uns tun kann.«
»Aber seine Überzeugungen unterschieden sich von Ihren?«, fragte Monk schnell, und wunderte sich über seine Frage.
»Nein«, erwiderte Herr Jakob mit einem matten Lächeln.
»Zumindest politisch stimmten sie überein.«
Monk musste nicht nach der Kehrseite moralischer Werte fragen. Er hatte Josef und Magda Beck kennen gelernt und die Tiefe und Leidenschaft ihres Katholizismus gesehen. Er
hatte auch gesehen, dass sie, aus welchem Grund auch immer, in ihrem Haus Freunde empfingen, die zutiefst antijüdisch eingestellt waren. Welchen Glaubens sie auch waren, ihre Worte waren von Diskriminierung in Verfolgung umgeschlagen. Plötzlich kam ihm eine Erinnerung in den Sinn, deutlich wie das Frühlingslicht im Vorzimmer des Pfarrhauses: Der Vikar stand vor dem zwölfjährigen Monk und lehrte ihn große englische Literatur, wozu er John Milton zitierte. »Auch jene dienen, die nur stehn und warten.« Aber jetzt kamen Monk die Zeilen anders in den Sinn. »Auch jene sündigen, die nur stehn und warten.«
Er kehrte zurück in die Gegenwart, in den von Kerzenlicht erhellten Raum in Wien, wo das Tageslicht hinter den Fenstern rasch schwand und dieses ruhige Paar darauf wartete, dass er etwas sagte, was seinen Besuch bei ihnen erklärte, zumal sie so höflich gewesen waren, ihn und Ferdi zu empfangen und ausgerechnet an diesem Tag willkommen zu heißen. Alles außer der Wahrheit wäre eine Beleidigung, sowohl für ihn als auch für die beiden, und vielleicht sogar für Kristian und Hanna.
»Kannten Sie Elissa von Leibnitz?«, fragte er.
»Ja«, antwortete Jakob. In seinem Gesicht und dem Timbre seiner Stimme lag ein tiefes Gefühl, aber Monk konnte es nicht deuten. Nahmen sie es Elissa übel, weil sie wussten, dass ihre Tochter für den Botengang, der sie das Leben gekostet hatte, ausgesucht worden war und nicht Elissa, weil Elissa, die arische Katholikin, mehr wert und ihr Leben wichtiger war als das von Hanna, der Jüdin? Unermesslich schlimmer als das: Wussten oder ahnten sie, dass Hanna verraten worden und einen sinnlosen Tod gestorben war? Aber Monk hatte sich keine Rückzugs- möglichkeit gelassen.
»Wussten Sie, dass Kristian sie geheiratet hat?«
»Ja, das wusste ich.«
Monk spürte die brennende Hitze in seinem Gesicht. Er schämte sich für Menschen, die er nicht einmal gekannt hatte, geschweige denn mit ihnen gemeinsam gehandelt oder Entscheidungen gefällt hatte, aber er fühlte sich keinen Deut besser. Er war sich bewusst,
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