Gefährliches Geheimnis
Weile, genoss den Trost und die ungewohnt fremde Sicherheit des Raums mit seinen jahrtausendealten Ritualen und Erinnerungen an eine Geschichte, die für ihn nicht mehr war als alte Bibelgeschichten. Es war wie ein Schritt außerhalb der alltäglichen Welt in eine andere Wirklichkeit. Er beneidete Herrn Jakob um seinen Glauben, der so teuer erkauft war.
Gegen neun Uhr dankte Monk ihnen, und er und Ferdi entschuldigten sich. Am nächsten Morgen musste Monk Max Niemann gegenübertreten.
Draußen auf der Straße war es eisig kalt. Das Pflaster war von einem Eisfilm überzogen, der im Licht der Straßenlaternen glitzerte. Monk warf von der Seite einen Blick auf Ferdi und sah das Gefühl in seinem Gesicht. In wenigen Stunden war er von einem Sturzbach von Leidenschaften und Verlusten mitgespült worden, die weit über das hinausgingen, auf was das Leben ihn vorbereitet
hatte. Er war mit einem Volk konfrontiert worden, das zu verachten man ihn gelehrt hatte. Man hatte ihm suggeriert, dass sie anders waren, auf unbestimmte Weise weniger wert. Und er war von ihrer Würde und ihrem Schmerz tiefer berührt worden, als er verkraften konnte. Selbst wenn er es nicht in so einfache Worte hätte fassen können, innerlich war er sich bewusst, dass ihre Kultur die Quelle seiner eigenen war.
Monk wollte ihn trösten, ihn beruhigen. Aber mehr als alles andere wollte er, dass Ferdi sich daran erinnerte, was er in diesem Augenblick empfand, in dem sie mit gesenkten Köpfen durch die Straßen gingen und den eisigen Wind im Gesicht spürten. Er wollte, dass er es nie vor sich selbst verleugnete oder verbog oder verdrehte, um sich der Gesellschaft anzupassen. Denn das wäre ein weiterer Verrat. Er konnte sich nicht mehr auf Unwissenheit berufen.
Doch Monk schwieg, weil er nicht wusste, was er sagen sollte.
In dem Augenblick, da Monk Max Niemann endlich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, wusste er genau, was er ihn fragen würde. Er wusste bereits einiges über Niemann, über sein Heldentum während des Aufstands, seine Liebe zu Elissa und wie hochherzig er reagiert hatte, als Elissa stattdessen Kristian geheiratet hatte. Seinem äußeren Benehmen nach zu schließen konnte man leicht annehmen, er sei weitgehend über seine Leidenschaft zu ihr hinweg, und diese habe einer aufrichtigen Freundschaft zu Elissa und Kristian Platz gemacht. Er hatte nie geheiratet, aber das konnte viele Gründe haben. Es war noch gar nicht lange her, dass Monk selbst sich ziemlich sicher gewesen war, dass er nie heiraten würde, und falls doch, dann eine Frau, die ganz anders wäre als Hester. Er
war sich sicher gewesen, er würde nach einer sanften, femininen Frau suchen, die ihn tröstete, seine Stärke bewunderte und ihm ergeben und seinen Schwächen gegenüber blind war. Jetzt konnte er darüber nur lachen! Wie wenig hatte er sich selbst gekannt!
Er folgte Max Niemann, als dieser seinen Arbeitsplatz verließ und die Canovagasse entlang in Richtung Karlsplatz schlenderte. Es war kein idealer Platz für das Gespräch, das er führen musste, aber er konnte es sich nicht leisten, noch länger zu warten. In London hatte womöglich der Prozess schon angefangen. Es war diese Dringlichkeit, die ihn dazu nötigte, sich Max Niemann in einem Café zu nähern, wo dieser saß und den Gesprächen und dem Klimpern von Tassen und Gläsern zuhörte.
Es war unhöflich, sich zu einem Mann an den Tisch zu setzen, der offensichtlich allein sein wollte, aber es gab keine andere Möglichkeit.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte er auf Englisch. »Ich weiß, dass Sie Max Niemann sind, und ich muss mit Ihnen über eine Angelegenheit sprechen, die es nicht duldet, auf eine passendere Gelegenheit zu warten.«
Einen kurzen Augenblick sah Niemann verwirrt aus, das
Gesicht in leicht verärgerte Falten gezogen.
Bevor er widersprechen konnte, fuhr Monk fort: »Ich bin William Monk. Ich habe Sie in London auf der Beerdigung von Elissa Beck gesehen, Sie erinnern sich sicher nicht an mich. Ich bin ein Freund von Kristian und in seinem Interesse in Wien.«
Er sah, dass Niemanns Miene sich ein wenig entspannte.
»Wussten Sie, dass Kristian des Mordes angeklagt wurde und vor …« Er unterbrach sich. Niemanns weit aufgerissene Augen und sein offener Mund verrieten ihm, dass er es nicht gewusst hatte und dass die Nachricht ihn
zutiefst verstörte. »Es tut mir Leid, dass ich Sie damit so überfalle«, entschuldigte Monk sich. »Ich glaube nicht, dass er es getan hat, aber es
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