Gefährliches Geheimnis
kommen sollen. Dafür gab es mehrere Gründe. Wir haben in verschiedenen Richtungen gesucht. Ob sich jemand daran erinnert? Es war der Abend, an dem in der Drury Lane ein Wagen mit Rohzucker umgekippt ist, falls das jemandem hilft.«
»Keine Ahnung.« Er schüttelte den Kopf. »Habe keinen Grund, da hoch zu gehen.« Er konzentrierte sich wieder auf die Zeichnung. »Den Künstler da kenne ich.« Er zeigte auf einen der Männer. »Und den da auch.« Jetzt zeigte er auf Allardyce. »Er lebt da oben, aber er kommt ab und zu hierher.« Er starrte auf das Bild von einem halben Dutzend Männer, die um einen Tisch saßen, Ale-Krüge in den Händen, die grob skizzierte Umgebung deutete die Taverne an, parallel verlaufende Wände, ein paar Humpen an der Wand und ein Plakat, das die Vorführung eines Jongleurs in einem Varietetheater in der Nähe ankündigte.
Hester wartete, ihre Enttäuschung wuchs.
Der Soldat runzelte immer noch die Stirn. »Irgendetwas stimmt nicht«, sagte er kopfschüttelnd. »Weiß nur nicht, was.«
Hester sah sich im Raum um und suchte nach dem Platz, an dem die Gruppe gesessen hatte. Vielleicht war es gar nicht diese Schänke? Es war nur ein winziger Hoffnungs- schimmer, und noch bevor er in ihrem Kopf Gestalt angenommen hatte, erkannte sie die Tische und Stühle und die Wandverkleidung dahinter.
Dann stutzte sie. Das Plakat war ein anderes. Dieses Plakat kündigte einen Sänger in einem roten Hemd an. Sie wagte kaum, es auszusprechen, und das Herz hämmerte ihr wie wild in der Brust.
»Wann haben sie das Plakat ausgetauscht?«, fragte sie. Der Soldat machte große Augen. »Das ist es!«, sagte er
und stieß einen langen Seufzer aus. »Sie haben’s! Dieses
Plakat hing an dem Abend, von dem Sie reden, hier – nicht das von dem Jongleur, das auf der Zeichnung ist. Sie können es bei dem Varietétheater überprüfen, Sie können alle fragen, sie werden’s Ihnen bestätigen! Die Zeichnung wurde nicht in der Nacht gemacht!« Er zeigte mit dem Finger auf das Bild. »Er war hier, meinetwegen, aber nicht an dem Abend!« Sein Gesicht strahlte vor Zufriedenheit.
»Hilft Ihnen das?«
»Ja!«, sagte sie und schenkte ihm ein so breites Lächeln, dass es fast ein Grinsen war. »Ja, das tut es! Vielen Dank. Und jetzt gebe ich Ihnen einen Apfelwein aus und vielleicht eine Pastete. Ich könnte auf jeden Fall ein Stück vertragen. Dann will ich dafür sorgen, dass man im Varietétheater, wenn nötig, darauf schwört.«
»Vielen Dank«, nahm er huldvoll an. »Ich nehme eine Hammelfleischpastete, wenn’s Ihnen recht ist. Sie sollten’s probieren, die sind richtig lecker. Machen satt.«
Als sie das Bull and Half Moon verließ und auf die Straße trat, war sie erstaunt, dass der Nebel sich zu einem undurchlässigen, dunklen Schleier verdichtet hatte, so dass sie kaum fünf oder sechs Meter weit sehen konnte. Sie wollte zu dem Varietétheater gehen und sich dort ver- gewissern, um in Bezug auf die Auftrittsdaten des Jongleurs und des Sängers und wann sie das Plakat ausgetauscht hatten, absolut sicher zu sein, aber in dem dichten Nebel, der vom Wasser hochgestiegen war, war das fast unmöglich. Sie sah nicht einmal bis auf die gegenüber- liegende Straßenseite. Wo war die Kutsche? Sie stand nicht da, wo Hester ausgestiegen war, aber der Kutscher hatte sicher nicht direkt hier warten können. Zweifellos wartete er in der nächsten Seitenstraße.
Als sie losging, glaubte sie, Schritte hinter sich zu hören. Oder war das ein Echo ihrer eigenen Schritte? Nebel verzerrte Geräusche. Aber er hüllte sie eher ein, als sie zu verstärken!
Sie wirbelte herum und sah in dem weißen Dunst, der sie auf allen Seiten umgab, eine dunkle Gestalt. Sie machte einen Schritt rückwärts, aber die Gestalt kam näher. Sie ging noch weiter zurück, bis sie unter einer Straßenlaterne stand und das Licht im wabernden Nebel blass und ungleichmäßig auf sie herunterschien. Sie erkannte Argo Allardyces aschfahles Gesicht und sein schwarzes Haar. Sie schnappte nach Luft und würgte einen Moment in blinder Panik. Es hatte keinen Sinn, zu leugnen, was sie vorhatte. Er musste ihr vom Bull and Half Moon aus gefolgt sein. Sie hatte noch die Zeichnung bei sich. Wo war die Kutsche? Wie weit weg? Konnte sie sich umdrehen und laufen? Hatte sie überhaupt die richtige Richtung eingeschlagen?
Sie machte noch einen Schritt nach hinten und noch einen. Der Nebel verdichtete sich, dann fegte ein kalter Windstoß ihn weg, und Allardyce stand nur
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