Gefährliches Geheimnis
ihr das nicht verzeihen können. Und das war ein bitterer, schrecklicher Gedanke, denn nicht zu verzeihen ist eine Art von Tod.
Wenn Imogen nicht loyal sein und Charles wichtiger als ihre eigenen Ängste nehmen konnte, würde ihn das so verletzen, dass er das nicht überleben würde und womöglich auch nicht wollte. Er war schwach, aber umso stärker musste Imogen sein!
Es war unlogisch, vielleicht auch unfair, aber es war das, was Hester empfand, während sie auf das erstarrte Gericht in dem Topf schaute und sich der Frage zuwandte, was sie damit machen sollte.
Callandra stand in ihrem Garten und betrachtete die letzte Rose, deren Farbe den eigentümlich warmen Ton hatte, den nur späte Blumen besaßen, als wüssten sie, dass ihre Schönheit nur von kurzer Dauer war. Es gab ein Dutzend Arbeiten, die erledigt werden mussten, und der Gärtner übersah die Hälfte davon, wenn sie ihm nicht alles genau aufzählte. Die verblühten Blüten mussten gekappt werden, die Herbstastern waren hochzubinden, bevor das Gewicht der Blüten so schwer wurde, dass die Stängel brachen.
Der Schmetterlingsstrauch brauchte einen Schnitt – er war viel zu groß –, und das Fallobst musste aufgehoben werden, bevor es faulte.
Sie konnte sich nicht darum kümmern. Sie war – mit Handschuhen, einem Messer und einem Korb für die verwelkten Blüten – nach draußen gegangen, weil sie sich einer körperlichen Arbeit widmen wollte. Aber sie konnte sich nicht darauf konzentrieren. Ihre Gedanken eilten von einer Sache zur nächsten und wirbelten ständig um die gleiche schwarze Mitte herum. Das Einzige, was sie zu
Stande brachte, war Unkraut jäten. Sie bückte sich und machte sich an die Arbeit, zog erst ein Unkraut, dann das nächste aus der Erde und häufte es, den Korb ignorierend, zu kleinen Häufchen auf, um es später einzusammeln.
Vor einiger Zeit hatte sie sich eingestanden, dass sie Kristian Beck liebte, auch wenn dieses Gefühl nie zu irgend- etwas anderem führen würde als zu tiefster Freundschaft. Sie würde nicht noch einmal heiraten. Francis Bellingham hatte um ihre Hand angehalten. Sie hatte ihn sehr gern, und er hätte ihr ein Leben voller Kameradschaft bieten können, voller Treue und der Freiheit, die Dinge zu verfolgen, an die sie glaubte. Er war intelligent und ehrbar und nicht im Geringsten unattraktiv. Wenn sie ihn ein paar Jahre früher kennen gelernt hätte, hätte sie seinen Antrag angenommen.
Was sie für ihn empfand war Zuneigung, Freundlichkeit und Respekt, aber nicht mehr. Wenn sie ihn geheiratet hätte, was viele ihrer Freunde erwartet hatten, hätte sie Kristian aus ihren Träumen verbannen müssen, und dazu war sie nicht bereit, vielleicht auch nicht in der Lage. Sie konnte nicht die Schändlichkeit begehen, einen Mann zu heiraten, während sie einen anderen liebte – nicht in ihrem Alter. Sie hatte mehr als genug Geld, um für sich zu sorgen, die soziale Stellung einer adligen Witwe, Wohl- tätigkeitsarbeit, die ihre Zeit ausfüllte, und Freunde, die sie sehr schätzte. Sie war sich ihrer Dummheit voll und ganz bewusst.
Sie hörte auf, Unkraut zu jäten, als sie sich daran erinnerte, was Hester ihr am gestrigen Nachmittag erzählt hatte. Callandra hatte sofort gewusst, dass Hester schlechte Nachrichten brachte. Sie hatte zu viele Ärzte mit genau diesem Ausdruck im Gesicht gesehen, einer Mischung aus Entschlossenheit und Mitleid, verkrampften Schultern und blassem Gesicht, Trost in den Augen.
Im Augenblick konnte es nur Kristian betreffen. Sie
musste nicht fragen, um was es ging. Dann hatte Hester ihr erzählt, dass Elissa Beck eine zwanghafte Spielerin war, dermaßen süchtig nach der Aufregung des Spiels, dass sie alles, was sie besaß, verloren hatte, und fast auch alles, was Kristian besaß. Sie hatte Geld verspielt und ihre Besitz- tümer verpfändet oder verkauft, bis schließlich alle Möbel weg waren und die Schulden sich häuften, das Haus kalt und dunkel war und sie kurz vor dem Ruin standen.
Callandra konnte sich die Angst und die Scham, die Kristian empfunden haben musste, nicht vorstellen, obwohl sie es versuchte! Elissas Tod musste ein bitterer Verlust für ihn sein, ein Teil seines Leben war ihm ent- rissen worden. Und doch musste er auch eine Erleich- terung sein. Das Ausbluten war zu Ende, und er konnte wie ein Patient, dessen Blutung schließlich gestillt worden war, wieder zu Kräften kommen.
Sie griff nach einem Unkraut, riss es heraus, warf es in den Korb und sah, dass es in
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