Gefaehrliches Verlangen
glatt streichen will, bricht er in Tränen aus.
»Kein Wunder, dass der Kleine völlig überfordert ist«, bemerkt sie und drückt ihn mir in den Arm. »Bei so vielen Leuten.« Mit geschürzten Lippen mustert sie Denise und Annabel. »Vielleicht ist es am besten, wenn er heute bei dir bleibt, Mike. Ich will ihn nicht um mich haben, wenn er den ganzen Tag nur schreit. Wer um alles in der Welt hat ihn heute Morgen angezogen? Dieses T -Shirt passt doch gar nicht zur Hose.«
Sie verfrachtet ihn wieder in den Hochstuhl. »Vielleicht komme ich nächste Woche noch mal vorbei, wenn er sich ein bisschen beruhigt hat.« Sie wendet sich Dad zu. »Den Rest sollen die Anwälte erledigen. Frohe Weihnachten.«
Und damit geht sie zur Tür, tritt hinaus und knallt sie hinter sich zu.
❧ 35
E s herrscht Totenstille im Raum, als Dad und ich uns wieder hinsetzen. Denise hat sich die Hand vor den Mund geschlagen, Marc mustert Dad mit gerunzelter Stirn, und Annabel sitzt mit weit aufgerissenen Augen da. Sammy umklammert die Lehne seines Hochstuhls und kaut auf seiner Unterlippe.
Alle tun so, als würden sie Dad nicht anstarren, als er seine Kartoffel auf dem Teller hin und her schiebt, aber es nützt nichts.
»Dad?«, frage ich vorsichtig. »Alles in Ordnung?«
»Sie will die Scheidung«, sagt er in den Raum hinein. »Die Scheidung. Sammy muss in einer zerrütteten Familie aufwachsen.«
Ich riskiere einen Seitenblick auf Marc. Er wirkt ernst und nachdenklich.
Dad trinkt einen Schluck Champagner aus seiner Tasse. »Lass dir das eine Lehre sein, Sophia. Eine überstürzte Ehe bringt nur Kummer und Leid.«
»Dad, du bist völlig durcheinander. Du solltest das nicht überbewerten. Vielleicht ist Genoveva …«
»Nein, zum ersten Mal seit Jahren sehe ich völlig klar«, unterbricht Dad mich. »Du und Marc, ihr kennt euch praktisch überhaupt nicht. Und ihr stammt aus völlig unterschiedlichen Welten. Genauso wie Genoveva und ich. Tut mir leid, aber ich kann euch meinen Segen nicht geben. Ich kann einfach nicht.«
Ich versuche, einen kühlen Kopf zu bewahren. Dad ist völlig außer sich, das sehe ich ihm an. Gerade hat sich eine absolute Katastrophe ereignet, deshalb kann er nicht klar denken.
»Dad, vielleicht solltest du dir mit deiner Entscheidung noch ein bisschen Zeit lassen und dir alles in Ruhe überlegen.«
»Das ist nicht nötig. Mein Entschluss steht fest.«
»Dad, bitte …«
»Tut mir leid, Sophia. Ich kann nicht zulassen, dass dir genauso wehgetan wird wie mir gerade.«
Denise beugt sich vor und legt ihm die Hand auf den Arm. »Mike, was gerade passiert ist, tut mir schrecklich leid. Uns allen. Von ganzem Herzen. Und ich weiß, dass Sie nur das Beste für Marc und Sophia wollen, aber wie wäre es, wenn Sie Ihre Entscheidung einfach um ein paar Monate verschieben? Sophias Show dauert noch bis März. Wieso warten Sie nicht einfach so lange? Wenn Sie erst einmal miterlebt haben, wie sie eine ganze Saison in einer Musicalproduktion bewältigt hat, wird Ihnen klar sein, dass sie eine erwachsene, verantwortungsbewusste Frau ist. Und wie gut sie und Marc zusammenpassen.«
Dad seufzt. »Natürlich ist Sophia sehr reif für ihr Alter, das ist mir klar. Sie musste schon früh erwachsen werden, trotzdem fürchte ich, dass sie die Situation nicht realistisch genug einschätzt. Marc ist ein sehr dominanter Mann, und ich glaube nicht, dass Sophia Herrin ihrer eigenen Entscheidungen ist, solange sie mit ihm zusammen ist.«
»Doch, das bin ich. Daran gibt es keinen Zweifel«, protestiere ich.
»Er hat sehr großen Einfluss auf dich, Sophia. Vielleicht ist dir jetzt noch nicht bewusst, wie groß. Und dann dieser übertriebene Beschützerinstinkt – all das Wachpersonal ums Haus herum, das ist doch nicht normal.«
Wieder werfe ich Marc einen Blick zu, ein stummes Flehen, ihm nicht den Grund für die verstärkten Sicherheitsvorkehrungen zu verraten.
»Mike«, schaltet sich Denise abermals ein, »geben Sie den beiden doch ein paar Monate, in denen sie beweisen können, wie gut sie zueinanderpassen. Sie sollten Ihre Entscheidung nicht überstürzen.«
Dad legt seine Gabel hin. »Gut. Na schön. Drei Monate, dann lasse ich es mir noch einmal durch den Kopf gehen.«
Ich schiebe meine Hand unter Marcs Finger. »Dad! Danke …«
»Moment.« Dad hebt die Hand. »Ich stelle allerdings eine Bedingung.«
»Eine Bedingung?«
»Ihr werdet euch in diesen drei Monaten nicht sehen«, sagt er.
»Was?«
»Eine dreimonatige Trennung
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