Gefaehrten der Finsternis
tausendfünfhundert, wenn ich mich auf meine Informationen verlassen kann! Und schließlich die Städte im Süden, die am Meer liegen, - wie viele Soldaten haben sie geschickt? Keinen einzigen Mann! Nicht ein Schiff ist den Fluss hinaufgefahren, nicht ein Tross will zu den Truppen von Dardamen stoßen! Nicht einer! Wie können sie da noch auf einen Sieg hoffen, wenn sie sich untereinander so wenig einig sind?«
»Umso besser für uns.« Scrubb kicherte. »So gehen sie ihrer sicheren Niederlage entgegen.«
»Vielleicht auch nicht …« Gylion öffnete seine Faust wieder und präsentierte den weißen König, der aufrecht auf seiner Handfläche stand. »Unsere Gegner werden auf ihre letzte Reserve zurückgreifen. Also, ihre einzige Hoffnung liegt darin, die verstreuten Verbündeten zu vereinen. Dafür benötigen sie einen charismatischen Führer, einen wahren Sire. Der liebe Myrachon hat ja tatsächlich alle nötigen Anlagen dafür, aber er kann nicht sein ganzes Volk unter einem einzigen Banner vereinen, wenn er sich wie ein Mäuslein in seiner Residenz verkriecht. Er muss sich selbst aufs Schlachtfeld begeben, sich allen zeigen. Und daher wird er sich an die Spitze seines Heeres setzen.« Und mit diesen Worten stellte er die Spielfigur direkt dem schwarzen König gegenüber.
»Ach so, Myrachon also auch noch«, sagte Scrubb leise. »Ist mir recht. Und dann?«
»Dann …« Gylion grinste. »Dann werden die beiden Heere aufeinandertreffen und es kommt zu einem schrecklichen Blutbad.
Aber keiner der Beteiligten hat eine Vorstellung davon, was am Ende passieren wird. Sie wissen nicht, dass all ihr Streben, ihre Träume von Macht und Ruhm, ihr Mut und ihre Verzweiflung in den Händen von jemandem liegen, dessen Macht sie nicht einmal ansatzweise erahnen. Sie wissen nicht, dass das Ende schon feststeht und dies hier geschehen wird!« Und damit hob er unvermittelt die rechte Hand, und ein gleißender Blitz erfüllte das Zelt, sodass Scrubb sich abwenden und eine Hand schützend vor seine Augen halten musste. Als sich der Qualm des plötzlichen magischen Blitzes verzogen hatte, öffnete Scrubb vorsichtig seine Lider. Die Spielfiguren lagen rund um das Schachbrett verstreut, sie waren allesamt verkohlt oder auseinandergebrochen. Nur eine einzige Spielfigur stand noch aufrecht auf dem Spielbrett.
Der schwarze König.
»Du … du …«, stammelte Scrubb. Plötzlich wurden ihm viele Dinge klar, die er bislang nicht miteinander in Verbindung gebracht hatte und die Gylion ihm verheimlicht hatte. »Lucidious … und all die anderen, denen du etwas versprochen hast … Du hast sie reingelegt! Du hast sie hinters Licht geführt und wirst sie letztlich um alles betrügen! Du willst sie alle loswerden … um der absolute Herrscher zu werden!«
Ein beinahe mitleidiger Ausdruck legte sich auf Gylions Gesicht. »Ach, Scrubb«, meinte er sanft. »Ich wusste, dass du mit deiner rührseligen Ader das nicht gutheißen würdest. Deshalb bist du ja auch ein so miserabler Schachspieler, weißt du. Wenn man ein wichtiges Ziel vor Augen hat, muss man auch Opfer bringen, das wirst du nie begreifen.Wenn du es dir zum Ziel gesetzt hast, die Weltherrschaft zu erlangen und alle Völker zu unterjochen, dann darfst du nicht so zartbesaitet sein. Du darfst mit niemandem Mitleid haben.« Er seufzte. »Ich kann doch Lucidious und den anderen nicht das geben, was ich ihnen versprochen habe. Aber ich musste es ihnen versprechen. Sonst hätten sie mir nicht gedient und das weißt du.«
Scrubb starrte ihn an, und Gylion hätte nicht sagen können, welche Gedanken ihm dabei durch den Kopf gingen. »Meinst du etwa, dass du unfehlbar bist?«, fragte der Dämon langsam. »Das ist niemand. Glaubst du wirklich, dass dein Plan ohne Fehler ist, dass das, was du ausgeheckt hast, auf jeden Fall gelingen wird? Dann irrst du dich. Niemand ist ohne Fehler, da kann er noch so sehr die wunderbare Frucht einer Verbindung zwischen Zauberern und Sterblichen sein. Er mag unter Dämonen und Geistern aufgewachsen sein, mag über noch so viele magische Kräfte verfügen und keine Schwächen haben. Irgendetwas gibt es immer, das man nicht bedacht hat, etwas, das man nicht erwartet, übersehen hat. Irgendetwas kann dich immer kalt erwischen. Niemand ist unfehlbar, Gylion. Nicht einmal du.« Scrubb sammelte den weißen König, der heil geblieben war, vom Boden auf und stellte ihn wieder auf das Schachbrett. »Gib acht«, flüsterte er, »dass dir nicht dasselbe passiert.«
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