Gefaehrten der Finsternis
Seine schlanken Finger schoben den weißen König auf den schwarzen König zu, bis er ihn umstieß und über das Schachbrett rollen ließ.
»Was denn?« Gylion starrte ihn bestürzt an. »Wen meinst du damit? Myrachon?«
Scrubb schüttelte den Kopf. »Nein, nicht Myrachon. Du weißt, dass ich nicht von ihm spreche. Du kennst die Prophezeiung besser als ich. Das Kind des Königs wird die Finsternis besiegen und das wird der Anfang von ihrem Ende sein.«
»Aber nur dann, wenn die Finsternis das Kind nicht in Ketten gefangen hält!«, vollendete Gylion zornig den Satz. »Und das habe ich gemacht, deshalb habe ich Eileen doch entführt, verflucht noch mal! Damit diese Prophezeiung sich nicht erfüllen kann. Eileen ist das einzige Kind Myrachons, die Einzige, die mich aufhalten kann, und sie ist in meiner Hand.«
»Ach, Gylion.« Scrubb seufzte und er klang fast amüsiert. »Das ist doch dein Fehler: Du bist dir deiner selbst so sicher, dass du keinen Gedanken an das verschwendest, was du vielleicht versäumt
hast. Du hättest zum Beispiel überprüfen müssen, ob Eileen wirklich Myrachons einziges Kind ist.« Scrubbs rechte Hand war immer noch tief in seiner Tasche vergraben. »Jeder einzelne kleine Bauer ist wichtig. Und vielleicht kann daraus einmal ein neuer König werden.«
Blitzschnell zog er die zwei Ohrringe aus der Tasche und ließ sie auf das Spielbrett fallen. Das feingearbeitete Gold schimmerte im Schein der Öllampe.
»Die hat mir einer der Köhler gegeben, in einer Gnomenstadt«, erklärte Scrubb. »Und der hatte sie von einem jungen Elben. Nur ein König der Ewigen könnte Ohrringe wie diese tragen. Und ich versichere dir, dass ich Myrachon erkennen würde, wenn ich ihn sehe, und er war es nicht. Guck sie dir an und urteile dann selbst, ob ich mir da was zusammenspinne oder nicht.«
Vorsichtig nahm Gylion die Ohrringe auf, als ob er sich daran verbrennen könnte, und untersuchte sie im trüben Schein der Lampe. Es waren wirklich kostbare Schmuckstücke von unschätzbarem Wert, wahrhaft eines Königs der Ewigen würdig. Ganz fein war ein Muster in das Gold eingraviert, dünne Efeublätter zogen sich in kleinen Windungen darüber. Und der Sockel, um den sie sich schlangen, war noch sorgfältiger herausgearbeitet.
Gylion hielt den Atem an und fuhr mit dem Finger über die dünnen Gravuren.
Da war ein Buchstabe. Ein elegantes großes F.
Zwei Wochen nach seiner Ankunft kehrte Tyke ein letztes Mal zum nördlichen Wachtposten zurück.Vierzehn ereignisreiche Tage in der Letzten Stadt lagen hinter ihm. Zunächst einmal hatte er sich so gut in die Gemeinschaft eingefügt, dass ihn die Leute inzwischen mit demselben Respekt und derselben Ehrfurcht grüßten wie die Kinder des Regenten. Tatsächlich fühlte sich Tyke auch so. Taliman der Weise behandelte ihn wie einen Sohn und Atur betrachtete ihn mehr als einen Bruder denn als Freund.
In der Letzten Stadt verbrachten die Frauen die meiste Zeit in ihren privaten Gemächern, und die Frauen aus der Familie des Regenten bildeten da keine Ausnahme. Daher bekam Tyke nicht viel von ihnen zu sehen, aber sie verhielten sich ihm gegenüber ebenfalls sehr wohlwollend. Irmya verließ ein wenig öfter den Palast als ihre Mutter, und Tyke sah sie manchmal spazieren gehen, im Garten Blumen pflücken oder im Laubengang bei einer Stickarbeit sitzen. Sie trug immer einen Schleier, und Atur hatte ihm auch erklärt, warum. Das war ein Zeichen dafür, dass sie verlobt war, und zwar mit Ventel Weißhand, dem Hauptmann der Freien Garde, von dem Atur begeistert erzählte. Am Tag ihrer Hochzeit würde sie ihren Schleier abnehmen, doch sollte der Bräutigam nicht wiederkehren oder bereits tot sein, wie viele befürchteten, würde sie ihn ein Leben lang tragen. Obwohl Tyke ihr Gesicht noch nie erblickt hatte, stellte er sich vor, dass sie wunderhübsch sein musste, und dass sie so in Sorge war, bekümmerte ihn zutiefst.
Er war der Freien Garde beigetreten. Atur hatte angeordnet, dass man ihm eine Uniform auf den Leib schneidern sollte, da Tyke deutlich kleiner war als die hochgewachsenen Ewigen. Es hatte ein wenig gedauert, bis sie endlich fertig gewesen war, aber das Warten hatte sich gelohnt. Sie saß wie angegossen und stand ihm ausgezeichnet, wenn er dem Urteil aller, auch des Regenten, trauen konnte. Er nahm an den Militärübungen teil, die jeden Tag in den Straßen der Stadt abgehalten wurden und den Ernstfall simulierten, der früher oder später eintreten würde. Sie
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