Gefaehrten der Finsternis
Stück länger marschiert als sonst -, legte sich Slyman ein wenig abseits von den anderen zur Ruhe, um Rabba Nix nicht allein zu lassen. Der lange Marsch hatte ihn ermüdet, für den nächsten Tag war eine ebenso lange Strecke geplant, und er hatte vieles, worüber er nachdenken musste. So blieb er nur kurz bei den anderen am Feuer sitzen, und auch dabei sagte er kaum ein Wort, sondern starrte nur schweigend in die Flammen. Er hatte den Bund der Rebellen erreicht, er hatte das getan, was der Einsame ihm aufgetragen hatte. Und doch spürte er, dass er seine Aufgabe noch nicht vollendet hatte, dass er sogar noch weit davon entfernt war. Im Bund war er ein Fremder, ein Außenseiter. Wenn sie lachten, konnte er nicht mit einstimmen, wenn sie von den gemeinsam erlebten Abenteuern sprachen, hatte er dem nichts entgegenzusetzen als die dreihundert Jahre, die er ganz allein in Gesellschaft des Einsamen verbracht hatte. Sie hatten ein Volk, eine Familie, ein Zuhause und Freunde. Er hatte nichts dergleichen und wusste nicht einmal, wer er war. Er war nur ein Findelkind, das noch in Windeln ausgesetzt und dann von einem großherzigen Helden aufgesammelt worden war. Slyman hegte sogar den Verdacht, dass die anderen ihm diese Geschichte nicht einmal abnahmen. Der Einsame - das hörte man ihnen an - war für sie nichts als ein Name, eine Legende. Natürlich war er ihnen bekannt, aber sie wussten nicht einmal genau,
ob er je gelebt hatte, und wenn doch, stand für sie fest, dass er schon seit Jahrtausenden tot sein musste.
Vielleicht glauben sie ja, ich bin verrückt, dachte Slyman. Doch viel wahrscheinlicher war, dass sie ihn für jemand hielten, der mit seiner Vergangenheit und seiner Herkunft abgeschlossen und alle Brücken hinter sich abgebrochen hatte, der an nichts mehr erinnert werden wollte und sich daher eine halbwegs glaubwürdige Geschichte ausgedacht hatte. Das mit dem Findelkind hörte sich einleuchtend an, aber dann hatte er doch ein wenig dick aufgetragen, indem er den Einsamen mit ins Spiel brachte. Genau das dachten sie doch sicher! Deshalb behielt ihn auch immer jemand im Auge, vor allem dann, wenn er mit Rabba Nix redete. Als er ihnen vom Einsamen erzählt hatte, hatten ihre Blicke Bände gesprochen, und sie hatten sich kaum bemüht, das zu verbergen. Ihr Misstrauen war eine notwendige Vorsichtsmaßnahme, Slyman hatte dafür Verständnis. Doch er hatte sich nach ihrer Freundschaft, nach ihrem Vertrauen gesehnt.
Wenigstens Lyannen überdachte ernsthaft die Möglichkeit, dass alles, was Slyman sagt, wahr sein könnte. Das Ganze klang zwar unwahrscheinlich, aber es konnte trotzdem der Wahrheit entsprechen. Mardyan, der Einsame, und sein Vater waren Brüder und Gefährten gewesen und nach dem heimtückischen Mord an ihren beiden Familien hatten sie sich zunächst gemeinsam in die Abgeschiedenheit zurückgezogen. Doch dann war Vandriyan wieder zu seinen Leuten zurückgekehrt, um das Ewige Königreich zu retten, und war aus Liebe zu Sasha dort geblieben. Auch ihn hatte man bis zu seiner Rückkehr für tot gehalten. Also könnte der Einsame ebenso gut noch am Leben sein. Er war immer eine geheimnisumwitterte Gestalt gewesen, doch das Wenige, was Lyannen noch aus den Erzählungen seines Vaters behalten hatte, stimmte genau mit Slymans Beschreibung überein. Das Schwert, das Slyman trug, war tatsächlich uralt, konnte sogar noch aus der Epoche der Ersten stammen, aus jenen fernen, vergessenen
Zeiten, als man wie von Zauberhand Schwerter schmiedete. Außerdem trug der junge Ewige einen der Anhänger der Ersten um den Hals, der genauso aussah wie der von Vandriyan. Aber dabei konnte es sich auch nur um zufällige Übereinstimmungen handeln. Jemand, der so energisch seine Vergangenheit auszulöschen versuchte, dass er dafür einen Mann bemühte, der seit Jahrtausenden als tot galt, konnte sich diese uralten Kostbarkeiten auf andere Weise beschafft haben. Im Grunde spielte das auch gar keine Rolle. Solange Slyman sich loyal und zuverlässig verhielt, waren seine persönlichen Angelegenheiten nebensächlich, das war zumindest Lyannens Auffassung. Er verstand nicht, warum die Geschichte dieses jungen Mannes unbekannter Herkunft enden sollte, noch ehe sie begonnen hatte.
Doch nur einer unter ihnen schien Slymans Erzählungen vollständig zu glauben - und das war Ventel. Slyman war fasziniert von diesem rätselhaften jungen Mann, der tief in seinem Herzen ein Geheimnis zu bergen schien.Wenn er ernst war, dann wirkte sein
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