Gefaehrten der Finsternis
gesehen, wie sich seine aufrechte Gestalt schweigend vor dem blassen Mond abzeichnete. An seinen Haaren und seinem Umhang zerrte der Wind und er wirkte wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Der Einsame hatte ihn angestarrt. Der Blick aus seinen weisen violetten Augen hätte alles bedeuten können, und Slyman hatte nicht begriffen, was er ihm sagen wollte. Erschüttert war er aufgewacht. Seit er Rabba Nix getroffen hatte, hatte er nicht mehr vom Einsamen geträumt.Was sollte das bedeuten?
So gingen drei, vier harte Tage ins Land. Nur die pure Verzweiflung trieb sie vorwärts, denn sie hätten ja auch nicht anhalten können. Slyman träumte weiter jede Nacht vom Einsamen. Zunächst hatte er geglaubt, er sähe ihn, weil er sich einsam fühlte, aber später war er überzeugt, dass es einen anderen Grund für seine Visionen geben musste. Inzwischen hatte er sich in die Gemeinschaft der Rebellen eingefügt, er fühlte sich überhaupt nicht mehr einsam. Doch die Träume hörten nicht auf. Jede Nacht kehrten sie wieder und wirkten so unglaublich real, dass er meinte, er müsse nur die Hand ausstrecken, um den Einsamen zu berühren. Aber das versuchte er nicht. Der Einsame starrte ihn an, und in seinem rätselhaften Blick lag etwas, das Slyman nicht deuten konnte.
Rabba Nix versuchte mehrmals, aus ihm herauszubekommen, was ihn bedrückte, ebenso Lyannen, Drymn und die anderen, wenn auch seltener, doch Slyman gab nur ausweichende Antworten. Nicht einmal Rabba Nix vertraute er sich an, obwohl der ihm bedingungslos jedes Wort glaubte. Er spürte, dass diese Träume allein ihm gehörten, so wie der Einsame in all den Jahren
nur ihm Lehrer und Gefährte gewesen war.Ventel war der einzige, der ihm keine Fragen stellte, und Slyman dachte, dass dieser Ewige einfach mehr begriff, als er zeigte.
Am Morgen des fünften Tages, nachdem Slyman zu ihnen gestoßen war, verkündete Ventel, dass sie bald das Ende der Wälder erreichen würden, vielleicht sogar schon am nächsten Tag. Diese Nachricht nahmen alle mit Erleichterung auf. Dann würden sie zwar erst einmal durch offenes Gelände ohne Deckung ziehen müssen und danach durch die Weißen Sümpfe - dieses heimtückische Gelände, in dem viele unbekannte Gefahren lauerten. Doch wenn sie das alles hinter sich gebracht hatten, folgte die verdiente Rast - Syrkun lag nur zwei Tagesmärsche von den Wei-ßen Sümpfen entfernt. Ein Aufenthalt in der Festung war zwar in ihrer ursprünglichen Planung nicht vorgesehen gewesen, aber da sie sich auf das verließen, was Ventel ihnen nach seiner Heilung erklärt hatte, war ihr Ziel jetzt die Front. Und da die sich ständig bewegte, konnte Syrkun ebenso gut Ausgangspunkt wie Ziel sein. Dazu kam, dass sie nur über spärliche Vorräte verfügten und schon deshalb auf jeden Fall Rast machen sollten.
Unvermittelt tat sich vor ihnen ein Abgrund auf. Sie standen am Rand einer tiefen Schlucht, die Mutter Natur in das lehmige Erdreich gegraben hatten. Die Bäume da unten waren niedriger und standen auch nicht so dicht wie bei ihnen in der Höhe.Alle schauten nach oben und freuten sich, nach so langer Zeit wieder den Himmel sehen zu können. Dort zeigte sich keine einzige Wolke, die Sonne strahlte, dazu wehte ein frischer Wind.
Rabba Nix fuhr sich mit seinem Finger über die Narben auf seinen Schenkelinnenseiten. »Meine Narben jucken«, flüsterte er Slyman zu. »Das bedeutet einen Wetterumschwung. Vielleicht gibt es ein Gewitter.«
»Hoffentlich nicht«, entgegnete Slyman. Er unterrichtete niemanden davon, schließlich konnte sich der Ka-da-lun auch geirrt haben.
Sie stiegen in die Schlucht hinab, und der Himmel verschwand wieder hinter einem grünen Dach, das allerdings auf niedrigeren und gedrungeneren Stämmen ruhte als oben. Manchmal standen die Bäume hier so dicht, dass sie einen undurchdringlichen Zaun bildeten. Ventel führte sie dann stets sicher darum herum.
Nachdem Lyannen sich an den abrupten Wechsel der Landschaft gewöhnt hatte, betrachtete er aufmerksam seine neue Umgebung. Dieser Teil des Waldes zwischen den steilen Felswänden, die sich nach Nordosten erstreckten, unterschied sich deutlich von dem, den sie zuvor durchquert hatten. Hier war es frisch, aber von einer angenehmen, keineswegs schneidend kalten Kühle, viel angenehmer als die schwüle Wärme, durch die sie gerade noch gewandert waren. Die Rinde der Bäume war hellbraun und die langen violetten Blätter wiesen noch keinerlei Anzeichen des bevorstehenden Herbstes auf.
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