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Gefaehrten der Finsternis

Titel: Gefaehrten der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chiara Strazzulla
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Ayanna streichelte seine Wange. »Erinnerst du dich noch, was ich dir bei unserer ersten Begegnung gesagt habe?«
    »Bei unserer ersten Begegnung?« Slyman sah sie verwirrt an.
    »Als wir uns im Wald getroffen haben«, sagte sie. »Da habe ich dir gesagt: ›Erinnere dich an meinen Namen, junger Elbe. Wir werden uns wiedersehen‹.«

    »Wir werden uns wiedersehen«, wiederholte Slyman leise.
    »Ja. Wir werden uns wiedersehen.« Glänzten Ayannas Augen nun wirklich feucht oder bildete er sich das nur ein? »Ich verspreche es dir.«
    Als Slyman sie ansah, überkam ihn ein seltsames Gefühl, wie er es noch nie im Leben empfunden hatte.Als ob ihm ein dicker Felsblock im Magen läge. Sein Mund war wie ausgedörrt und er konnte keinen klaren Gedanken fassen. »Ayanna …«
    »Ayanna, was ist, leuchtest du mir jetzt vielleicht oder nicht? Da unten ist es dunkel!«
    Ayanna eilte Irdris zu Hilfe, die schon rittlings auf dem Geländer saß und sich an dem Seil festhielt. Sie hatte sich einen Beutel über die Schulter geschwungen und sich die nicht brennende Öllampe an den Gürtel gebunden. Ayanna lehnte sich über das Geländer und leuchtete ihr, indem sie die Lampe hochhielt. Irdris murmelte halblaut so etwas wie »Möge alles gut gehen«, dann schwang sie sich über die Brüstung und ließ sich an dem Seil hinuntergleiten. Von oben hörte man, wie sie mit einem dumpfen Geräusch aufkam. Kurz darauf flüsterte es von unten kaum vernehmbar: »Alles in Ordnung! Ihr könnt runterkommen.«
    Dalman ging als Erster. Ihm folgten Elfhall und Validen, die das Ganze problemlos meisterten. Ventel half Drymn, sich hinabzulassen, und auch er kam heil unten an. Dann hielt Ventel Lyannen die Hand hin.
    »Geh du jetzt«, sagte er zu ihm. »Ich helfe dir. Es ist ganz leicht. Du musst einfach hinuntergleiten und immer nur das Seil festhalten.«
    Lyannen nickte. In der Militärakademie hatte man ihnen beigebracht, sich an einem Seil hinabzulassen, aber es waren nie mehr als zehn Meter gewesen und immer hatte ihr Lehrer sie unten erwartet. Gut, hier warteten die anderen am Boden, die ihn auffangen konnten. Aber es war nicht das Gleiche. Er hielt den Atem an und hievte sich auf das Geländer.

    »Schau nicht nach unten«, ermahnte ihn Ventel. »Und fass das Seil nicht zu fest, du könntest dir sonst die Hände aufschürfen. Aber lass nie los, egal was passiert. Sonst riskierst du einen Sturz über vierzig Meter.«
    »Ventel, bitte«, sagte Lyannen flehend, dem so langsam übel wurde. »Ich kenne die Gefahr. Die musst du nicht noch betonen.«
    »Ich komme gleich hinter dir«, versuchte Ventel, ihn zu beruhigen. Dann wandte er sich an Slyman und Rabba Nix. »Schaffen du und der Gnom es allein da runter?«
    Slyman nickte, obwohl er so etwas noch nie in seinem Leben gemacht hatte. Und Rabba Nix konnte es zweifellos, aber von einem ungeschickten Kerl wie ihm musste man ständig erwarten, dass er irgendetwas anrichtete.
    »Sehr gut.« Ventel wandte sich wieder an Lyannen und fragte: »Alles in Ordnung mit dir?«
    »Ja«, antwortete Lyannen, »es ist alles in Ordnung.«
    »Dann los.«
    Lyannen schwang sich über die Brüstung. Einen Augenblick lang hing er reglos an dem Seil, dann schloss er die Augen und ließ sich hinuntergleiten.
    Es ging ganz leicht, obwohl seine Handflächen wegen der Reibung am Seil brannten. Er lockerte den Griff ein wenig, wie ihm Ventel geraten hatte, und der Schmerz ließ nach. Bald landete er heil und gesund zwischen den Büschen, wo ihn die anderen erwarteten. Eigentlich hatte es beinahe Spaß gemacht, es war viel lustiger gewesen als damals bei ihren Übungen in der Militärakademie, wo unten immer der Lehrer schrie, ihre Haltung wäre falsch. Er sah Drymn an und beide lächelten. Lyannen hätte geschworen, dass sein Freund gerade ebenfalls an den verhassten Lehrer dachte.
    Kurz darauf sahen sie Rabba Nix ankommen, der jedoch einige Zentimeter über dem Boden das Seil losließ und auf seinem Hintern landete.

    »Gut.« Ventel wandte sich an Slyman, der als Letzter übrig geblieben war, und machte ihm ein Zeichen. »Los, schnell!«
    Doch Slyman bewegte sich nicht. »Keine Sorge«, erwiderte er. »Ich schaffe es auch allein. Geh du zuerst.«
    »Bist du sicher?« Ventel sah ihn verblüfft an.
    »Ja, ganz sicher.«
    »Wie du willst.« Ventel schwang sich über die Brüstung und ließ sich ganz ruhig hinab, als würde er sich jeden Tag vierzig Meter in die Tiefe abseilen.
    Jetzt stand Slyman allein vor dem Geländer. Er

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