Gefaehrten der Finsternis
wandten sich ihm zu. »Es ist zu Ende«, flüsterte er. »Zu Ende.«
Lyannen standen Tränen in den Augen. »Es darf nicht so enden!«, rief er aus. »Du darfst nicht sterben, um mich zu retten. Was ist das für eine Welt, wo so etwas geschieht?« Seine Stimme erstickte in Schluchzen.
Mit letzter Kraft streckte Dalman eine Hand aus, um ihm die tränenfeuchten Wangen zu trocken. »Weine nicht«, sagte er mit rauer Stimme. »Nicht um mich. Es ist nicht so furchtbar, wie es erscheint. Ich habe getan, was ich tun musste, Lyannen. Irgendwo dort wartet mein Vater auf mich. Und jetzt werde ich mich vor ihm nicht mehr schämen müssen.«
Ein neues Rinnsal Blut erstickte seine Worte. Immer noch weinend wischte es Lyannen hastig weg.
»Weine nicht«, wiederholte Dalman. Seine Stimme wurde immer schwächer. »Dazu besteht kein Grund. Dies ist der Tod eines Kriegers. So, wie ich ihn mir immer vorgestellt habe. Ein schöner Tod. Es ist gut so, glaub mir, Lyannen. Nur noch eines. Mein Schwert. Gib es Elfhall, ja? Ich weiß, auch er wird weinen. Sei bei ihm und hilf ihm.«
Dann schloss er die Augen und sein Atem ging keuchend. Lyannen kniete schweigend neben ihm und wartete, und es kam ihm vor, als würde die ganze Welt in diesem Moment aufhören zu existieren.
»Lyannen«, stöhnte Dalman nach einiger Zeit und öffnete mühsam die schon getrübten Augen. »Ich fühle, es geht mit mir zu Ende, Lyannen. Richte mich auf. Ich möchte noch ein wenig Luft atmen, die nicht nach Blut riecht.«
Ganz behutsam bettete Lyannen den zurückgelegten Kopf des Freundes in seinen Schoß und hielt ihm die Hand. Dalman drückte die seine kräftig, während noch mehr Blut über sein wachsbleiches Gesicht rann. »Danke«, flüsterte er mit letzter Kraft. Dann senkten sich seine schon schweren Lider, und der Druck seiner Hand wurde immer schwächer, bis er sich schließlich löste. Seinen halb geöffneten Lippen entfloh ein letzter Seufzer.
Lyannen blieb reglos sitzen. Er fühlte sich, als existierte er selbst nicht mehr. Das Gewicht dieses verlassenen Körpers, des Körpers des Freundes, der in seinen Armen gestorben war, lastete bleischwer auf ihm. Er würde ihn immer so in Erinnerung behalten: mit geschlossenen Augen, die Silberhaare über das Gewand gebreitet, die von Blut geröteten Lippen, die sich dunkelrot gegen das bleiche Gesicht abhoben, zu einem letzten, beinahe unmerklichen Lächeln gekräuselt. Er streckte eine Hand vor, um Dalmans noch lebenswarme Wange zu berühren, als befürchte er, dass diese starren, wie versteinerten Züge sich in hunderttausend weiße Blütenblätter auflösen könnten.Wie heiter wirkte er doch, nachdem jede Last von ihm genommen war! Plötzlich erinnerte
sich Lyannen an ihre erste Begegnung, auf der Lichtung in Mymar. Dalman in seinem weißen Gewand, dem die silbernen Haare über die Schultern fielen, mit einem bis zum Rand gefüllten Wasserkrug in der Hand. Wie anders hatte dieses schöne, jugendliche und heitere Gesicht gewirkt im Gegensatz zu dieser Totenmaske, die er hier vor Augen hatte!
Lyannen überfiel eine Traurigkeit, die er nicht in Worte fassen konnte. Nichts und niemand auf der Welt kümmerte ihn nun mehr. Er senkte den Kopf und weinte.
NEUNUNDZWANZIG
L YANNEN WUSSTE HINTERHER nie mehr, was danach geschehen war. Vielleicht war er stundenlang über Dalmans leblosen Körper gebeugt sitzen geblieben, still vor sich hin weinend. Ohne sich dessen bewusst zu sein, hatte er Trost suchend nach dem Sternenanhänger gegriffen. Allmählich schmerzte auch seine Wunde an der Schulter nicht mehr; doch die Qual in seiner Seele tobte wesentlich stärker als jeder körperliche Schmerz. Rings um ihn herum nahm niemand von ihm Notiz, keiner schien die herzzerreißende Szene bemerkt zu haben. Lyannen war wie ausgeschlossen aus der Schlacht, unsichtbar für alle anderen, und nur mit sich selbst allein.
Er hörte auf zu weinen, als er keine Tränen mehr hatte. Der heftige Schmerz hatte einer neuen Entschlossenheit Platz gemacht. Er würde die Leiche seines Freundes, der sich hingegeben hatte, um ihn zu retten, nicht dort mitten auf dem Schlachtfeld liegen lassen. Lyannen würde seine Leiche nach Syrkun bringen und sollte es ihn selbst das Leben kosten. Damit Dalman mit all den Ehren bestattet würde, die einem zustanden, der den Heldentod gestorben war.
Wie in Trance befestigte er sein Schwert und das Dalmans an seinem Gürtel und zog den Dolch aus der Wunde im Knöchel seines Freundes. Einen Moment lang war
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