Gefaehrten der Finsternis
gerade ein paar Befehle erteilt hatte, eilte herbei. »Was gibt’s, mein Alter?«
Greyannah schnaubte laut. »Die Situation entgleitet mir. Die da draußen sind einfach zu viele, egal was wir versuchen, und es steht nun mal fest, dass man nichts erreicht, wenn man nur aus der Verteidigung heraus kämpft. Und doch muss ich ihnen jetzt irgendwelche Befehle erteilen, verstehst du? Und der Sire? Wo ist der Sire?«
»Auf den Mauern mit Theresian und seinem Sohn«, antwortete ihm Vandriyan schnell. »Darf ich dir einen Rat geben? Schick sie alle nach draußen, so wie gestern. Wenn wir uns hier einschließen, rennen sie das Tor nieder und dann sind wir geliefert! Hör mal, man sagt doch, dass Syrkun uneinnehmbar ist, und bis jetzt ist das auch so gewesen, aber nur, weil kein Feind je nah genug herangekommen ist. Soll etwa diesem Abschaum da draußen das Unmögliche gelingen?«
»Ich soll sie also rausschicken?«, fragte Greyannah.
»Ich meine schon.«
»Und mit welcher Erklärung?« Greyannah zog zweifelnd eine Augenbraue hoch.
»Du hat doch gerade selbst gesagt, dass du hier die Befehle erteilst!«, rief der Hauptmann. »Musst du denn alle deine Entscheidungen begründen?«
»Wenn mehrere Hundertschaften Unschuldiger sterben, schon«, entgegnete Greyannah hart.
Sie sahen einander schweigend an, und beide wussten, dass sie
Recht und Unrecht zugleich hatten und dass jede Entscheidung Risiken in sich trug.
»Also …«, begann Greyannah. Vielleicht wusste er tatsächlich, was er sagen wollte, vielleicht hatte er es auch einfach nur so gesagt. Auf jeden Fall kam er nie dazu, seinen Satz zu beenden, denn im gleichen Moment ertönte draußen vor den Mauern ein Schrei, ein ungezähmter Schlachtruf, den eine klare Ewigenstimme schmetterte: »Attacke! Zum Angriff! Für das Königreich!«
Greyannah schaute sich fluchend um und vergaß auf der Stelle, was er sagen wollte. »Wer war das?«, schrie er. »Wer hat diesen Befehl gegeben? Habe ich vielleicht jemandem gesagt, dass wir einen Ausfall versuchen? Verflucht, der Statthalter bin immer noch ich! Gibt es etwa noch einen Statthalter hier in der Festung?«
Doch keiner achtete auf seine Worte. In diesem Moment erhoben sich draußen vor den Mauern Schreie, Rufe und Stimmengewirr, das die Flüche des Statthalters übertönte. Die Männer riefen laut, dass jemand die Schwarzen Truppen angriff. Greyannah fluchte heftiger.
»Bei allen verdammten Sümpfen im Westen, kann mir vielleicht mal jemand sagen, was hier vor sich geht?«
Eine Hand legte sich fest auf seine Schulter, es war Vandriyans Hand. Greyannah drehte sich zu ihm um und sah in sein ernstes Gesicht. Er wirkte erstaunlich ruhig. Trotz all des Lärms und der Aufregung der Männer auf den Befestigungen sah ihn der Hauptmann mit seinen unerschütterlichen smaragdgrünen Augen an. »Ich kenne diese Stimme, Greyannah«, sagte er. »Und ob ich sie kenne.«
Eine Ahnung huschte über Greyannahs Gesicht. »Aber wie ist das möglich?«, fragte er verblüfft. »Wie sollte er zurückgekommen sein?«
»Der Mann war immer für eine Überraschung gut«, bemerkte Vandriyan mit einem leichten Lächeln auf den Lippen.
Da kam ein Soldat von den Mauern und rief laut nach
Greyannah. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck absoluter Verblüffung. »Herr!«, keuchte er. »Da unten! Aus den Bergen im Osten … sind … irgendwelche Dinger … hervorgestürmt! Dinger, wie ich sie noch nie zuvor gesehen habe, Herr, ich weiß nicht, was das ist, aber die da sind bewaffnet und haben die Schwarzen Truppen angegriffen und ihnen ziemlich zugesetzt. Und an der Spitze dieser Wesen, Herr, dieser Behaarten, die etwa so lang wie unsere Beine sind … stehen zwei Ewige! Zwei Ewige, Herr, und denkt nur: Einer davon hat silbernes Haar und einen violetten Umhang, wisst Ihr, wie der aussieht? Wenn es nicht unmöglich wäre, würde ich sagen, das ist Mardyan, der Einsame!«
Und vor den bestürzten Augen des Soldaten warf Greyannah seinen Kopf zurück und lachte laut und schallend auf, ein Lachen, das dieser Situation völlig unangemessen schien, aber es war nicht das Lachen eines Wahnsinnigen, sondern das eines Mannes, der die Hoffnung wiedergefunden hat, als alles schon verloren schien.
»Mardyan, der Einsame!«, rief er aus. »Ach, ich liebe diesen Mann! Seit Beginn des Krieges habe ich die Rettung noch nie so deutlich vor Augen gehabt wie jetzt.Vandriyan! Führ sie alle nach draußen! Alle, vom ersten bis zum letzten Mann. Wir werden zu Mardyan stoßen
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