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Gefaehrten der Finsternis

Titel: Gefaehrten der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chiara Strazzulla
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zu brechen und ihr Gefängnis zu erreichen, das nur Lyannen sein konnte.
    Lyannen war zu allem fähig.
    Als sie an ihn dachte und ihn vor sich sah, starrköpfig und entschlossen, wie sie ihn kannte, konnte sie sogar ein wenig lächeln.
    Schritte auf dem harten Steinboden rissen sie aus ihren dunklen Tagträumen. Diese langsamen, gleichmäßigen Schritte hatte Eileen in den Tagen ihrer Gefangenschaft nur zu gut kennengelernt. Und der Besuch, den sie ankündigten, war ihr nicht sehr willkommen. Obwohl sie niemand anderen in ihrem Verlies sehen würde, wäre Eileen lieber bis zum Ende der Zeiten allein geblieben, als wieder dieses Gesicht mit dem verhassten Ausdruck der Genugtuung darauf sehen zu müssen.
    Trotzdem schaute sie auf und sah sich ihm gegenüber - ihm, der ihr in ihrer Gefangenschaft schon so oft und so unerträglich nahe gekommen war.
    Doch dieses Mal lächelte der Herr der Finsternis nicht. Man hätte sogar glauben können, dass er Mitleid für sie empfand, wenn man nur in sein Gesicht sah, dass er vielleicht ihren erbarmungswürdigen Zustand bedauerte. Doch das war nur wieder eine grausame Täuschung, eine neuerliche Bestätigung seines sadistischen Zynismus, das wusste Eileen genau. Sie versuchte, dem Blick der leuchtend blauen Augen zu begegnen, Stärke zu zeigen und ihre Verzweiflung zu verbergen, damit sie ihm nicht noch einen Grund zur Befriedigung lieferte. Aber das fiel ihr schwer, da er sich vor ihr aufbaute und sie betrachtete, als sei sie etwas, was ihm gehörte, und sie in seinen Augen einen seltsamen Schatten
bemerkte, während der umgedrehte Stern zwischen seinen Augenbrauen düster im Zwielicht dieses Raumes ohne Fenster und Türen leuchtete. Sie hätte nicht sagen können, wie lange sie schon hier war, und da das Licht sich nicht veränderte, hatte sie keinen Anhaltspunkt, um Zeit zu berechnen. Manchmal kam es ihr sogar vor, als habe sie sich schon immer dort befunden und nichts anderes als die verbrauchte Luft des Raumes kennengelernt und nie ein anderes Gesicht gesehen als die grinsende Fratze ihres Kerkermeisters. Ihre Erinnerungen an eine Welt voll unbekümmerten Glücks kamen ihr dann vor, als wären sie nur Bilder aus längst vergangenen Träumen. Das einzig Wirkliche schienen ihr der kalte Stein der Wände, die sie gefangen hielten, und der Gesichtsausdruck des Herrn der Finsternis, der wieder einmal zu ihr gekommen war, um seinen Sieg auszukosten.
    Von Widerwillen und Ekel getrieben, wich Eileen instinktiv zurück und presste sich mit dem Rücken an die Wand, als wolle sie sich in die hinterste Ecke des Raumes flüchten. Ungerührt ließ er es einfach geschehen und versuchte nicht einmal, sich ihr noch weiter zu nähern. Steckte lässig die Hände in die Taschen seiner violetten Hosen, wie jemand, der etwas vollkommen Unwichtiges vor sich sieht.
    »Hoffentlich habe ich Euch nicht im Schlaf gestört, Hoheit«, sagte er dann. Und er brauchte nicht einmal Hohn in diese Worte zu legen, um sie lächerlich klingen zu lassen.
    Wieder einmal fühlte Eileen, wie sehr sie ihn hasste. Früher war sie sich nie sicher gewesen, ob sie wusste, was Hass wirklich bedeutete. Ihr war dieses Gefühl immer weit entfernt, abstrakt vorgekommen. Doch jetzt verstand sie seine Bedeutung, hatte einen Weg gefunden, Hass für sich selbst zu definieren. Es war das Gefühl, das sie empfand, wenn sie den Herrn der Finsternis ansah. Wenn sie feststellen musste, dass sie selbst wie auch ihre Lieben ihm gegenüber vollkommen ohnmächtig waren.
    Trotzdem würde sie ihm die Stirn bieten, solange sie noch einen
Funken Selbstachtung besaß. »Macht Euch deswegen keine Sorgen«, antwortete sie. »Ich war bereits wach.«
    »Ich bin glücklich, das zu hören.« Nun ging der Herr der Finsternis ein paar Schritte auf sie zu. »Denn ich möchte ja nicht, dass Ihr Euren Aufenthalt bei mir in irgendeiner Weise unangenehm findet.Was würdet Ihr sonst Eurem Vater erzählen? Es würde ihn sehr betrüben, wenn er wüsste, dass Ihr leidet. Und wir wollen doch nicht, dass der arme Mann diese letzten Tage noch leidet, bevor er und sein Reich ihrem unvermeidlichen Ende entgegengehen, nicht wahr?«
    In seinem Tonfall lag etwas Schmeichlerisches, das ihr geradezu Übelkeit verursachte.Vielleicht lag das auch an dem triumphierenden Aufblitzen seiner Augen. Eileen wusste es nicht. Doch ihr war klar, dass sie ihm nicht mehr sehr lange die Stirn bieten konnte.
    »Ich verbiete Euch, so über meinen Vater zu sprechen«, antwortete sie, doch

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