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Gefaehrten der Finsternis

Titel: Gefaehrten der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chiara Strazzulla
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sich noch einmal umzudrehen, als er schon ein gutes Stück entfernt war. Ein leichter Wind peitschte über das in Nebel gehüllte Land. Jetzt war der Einsame nur noch ein kleiner Punkt, der sich in der Ferne verlor. Slyman streichelte über den Anhänger aus rotem Gold und glaubte dabei, den Einsamen wieder vor sich zu sehen:
    Der Wind zerzauste das silberne Haar des Einsamen und seine Augen waren feucht. Doch er würde nicht weinen. Das hatte er zum letzten Mal getan, als man seine gesamte Familie ausgelöscht hatte, und deshalb würde er keine Tränen mehr haben, um darüber zu weinen, dass ein junger Mann ihn verließ. Auch wenn er für ihn wie ein Sohn war.
     
    Als Lyannen aufwachte, war es wie immer Nacht in Feenquell. Seine Gefährten schliefen noch. Nachdem er und sein Bruder wieder in die Hütte gegangen waren, hatten sie sich in zwei nah beieinander angebrachte Hängematten gelegt, und er hatte wohl im Schlaf nach Ventels Arm gegriffen, den er immer noch fest gepackt hielt. Ein wenig verlegen stand Lyannen auf, bemühte sich dabei, seine Gefährten nicht zu wecken, öffnete die ovale Tür mit einem leichten Quietschen und ging hinaus. Draußen war alles still und friedlich.

    Traumversunken lief er zwischen den Bäumen umher, ohne genau zu wissen, wohin. Bald verlor er die Lichter der Stadt aus den Augen und drang tiefer in den Waldgürtel vor. Als er ans Ufer des Sees kam, ließ er sich nieder. Er wusste nicht, wie lange er dort geblieben war und auf das ruhige Wasser gestarrt hatte, das die Ufer mit einem sanften Schwappen überflutete. Doch er spürte, er hätte auf ewig hier sitzen bleiben können.
    »Findest du keinen Schlaf, Lyannen, der Mutige?«
    Er drehte sich jäh um und sah Krystal, die auf halber Höhe hinter ihm in der Luft hing.Verwundert fuhr er sich mit einer Hand durch die Haare. »Warum hast du mich Lyannen, den Mutigen, genannt?«, fragte er. »Das hat vor dir noch nie jemand getan. Ich bin Lyannen, der Halbsterbliche.«
    »Du bist nicht der Halbsterbliche, sondern einer von den Halbsterblichen«, widersprach ihm die Fee. »Deine Geschwister sind auch alle Halbsterbliche, nur sieht man es ihnen nicht an.«
    »Weil sie Vater ähnlich sehen und ich nicht«, sagte Lyannen.
    »Fühlst du dich deswegen so anders als sie?«, fragte ihn Krystal. »Ich hätte dich für klüger gehalten. Anders sein bedeutet nicht, schwarze Haare zu haben oder zwanzig Zentimeter kleiner zu sein. Du wirst noch viel mehr Leute sehen müssen, die anders sind, um zu begreifen, dass du es nicht bist.«
    »Das ist so leicht gesagt«, sagte Lyannen und schnaubte. »Und warum nennst du mich den Mutigen, hast du dir das gerade ausgedacht?«
    »Nein, selbstverständlich nicht«, erwiderte die Fee. »So wird man dich in Zukunft nennen.«
    »Es wird keine Zukunft geben, in der man mich so oder anders nennen kann«, antwortete Lyannen. »Denn alles wird zerstört werden.«
    »Du bist vielleicht ein Pessimist!«, stöhnte die Fee ungeduldig. »Ventel ist anders als du. Er glaubt immer an eine bessere Zukunft.
Er sagt, es wird einmal die Zeit kommen, in der wir nicht mehr leiden müssen.«
    »Dann rede doch mit Ventel, wenn ihr euch so gut versteht«, platzte Lyannen heraus. »Er sieht alles von einer anderen Warte. Schließlich ist er nicht der Halbsterbliche.«
    »Natürlich ist er das«, erwiderte Krystal.
    »Aber keiner wie ich und das kannst du nicht bestreiten.« Lyannen wollte das Thema beenden. »Weißt du, es ist spät geworden. Wir müssen bald abreisen und waren noch nicht einmal bei eurer Königin.«
    »Deine Gefährten werden schon dort sein«, sagte Krystal. »Ich bringe dich hin, wenn du es möchtest.«
    »Gehen wir also«, sagte Lyannen seufzend. Er folgte der Fee durch die Bäume.

NEUN
    U NGLAUBLICH, WIRKLICH UNGLAUBLICH!, dachte Lyannen. Dass so kleine Wesen wie die Feen so beeindruckende, prächtige Gebäude errichten konnten. Der Palast der Königin von Feenquell war wunderschön. Spitz zulaufende Türme umgaben die große Hauptkuppel, die zur Gänze mit Lapislazuli gedeckt war und im Silberschein des Mondes glänzte. Die ovalen Fenster hatten Rahmen aus vergoldetem Holz und Elfenbein, genau wie das gewaltige Eingangstor aus Ebenholz mit den Schnitzereien, die Kampfszenen darstellten.Vor den Fenstern hingen weiße Seidenvorhänge mit goldenen Bordüren. Ihr Gewebe war so leicht und fein gewirkt, dass es beinahe unsichtbar wirkte. An den Simsen waren wundersame Lampen angebracht, die in allen Farben des

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