Gefährten des Zwielichts
eben noch nach dem eingestürzten Zugang gesucht hatte, und senkte den Kopf.
Dann richtete Grautaz sich wieder auf, und seine sonore Stimme erfüllte die Höhle: »Sie sind fort, und der Gang ist eingestürzt. Ich spüre das Kästchen tief unter dem Berg, aber die Diebe werden noch einen, vielleicht auch zwei Tage unterwegs sein, bevor sie wieder ans Tageslicht kommen. Ich werde sie erwarten. Doch für den Augenblick bin ich allein in meiner Höhle zurückgeblieben.
Mit einem einzigen, vergessenen Gnom.«
Darnamur zuckte zusammen. Sein Herzschlag tat einen Sprung.
Grautaz setzte sich wieder in Bewegung, und er kam näher. Darnamur griff nach dem Messer, zückte es aber nicht. Was konnte die Knochenklinge ausrichten gegen einen Panzer, der selbst einem Wardu standhielt?
Der Gnom duckte sich tief hinter seine Münze. Grautaz redete weiter, so sanft, als würde er nur mit sich selbst sprechen.
»Mach dich groß. Mach dich klein. Mir ist es einerlei, kleiner Gnom. Ich kann dich riechen. Ich kann dich fühlen. Ich kann dich sehen. Und ich finde dich. Bevor ich wieder aus meinem Hort hinaustrete und das Kästchen zurückhole, kümmere ich mich um dich. Deine Freunde werden mein Tal nicht mehr verlassen, und du nicht mein Heim.
Den Wardu habe ich in Fetzen den Wasserfall hinabgeschickt. Das ging ein wenig schnell, denn er hat mich sehr gereizt. Aber mein Feuer brennt in ihm. Ich höre, wie es knistert. Und für dich nehme ich mir mehr Zeit.«
Darnamur spähte über den Rand der Münze und suchte nach einem Fluchtweg. Für einen käfergroßen Gnom gab es am Boden der Höhle genug Deckung, aber er wäre nicht schnell genug, um dem Drachen zu entkommen. Er wagte nicht, hinter seiner Münze hervorzukommen.
»Wusstest du, dass ich deinen natürlichen Zauber brechen kann, wenn ich dich zwischen meinen Klauen habe?«, plauderte Grautaz weiter. »Dann liegst du in deiner vollen Größe vor mir. Das ist nicht viel, aber es muss reichen. Immerhin gibt es mir ein wenig mehr zum Greifen.«
Seine Stimme klang fast zärtlich. Darnamur erschauderte.
»Keine Sorge. Ich werde dich nicht verbrennen. Ich werde dich nicht zerreißen. Nicht sofort. Einen Tag habe ich mindestens für dich, bevor deine Gefährten mit dem Kästchen aus dem Berg kommen. Ich werde dich ein wenig mit meinen Krallen kitzeln. Ich werde dich mit meinem Blick häuten, bis die finstersten Winkel deiner Seele vor mir liegen. Ich werde mir Zeit für dich nehmen, solange dein winziger Leib es aushält. Ihr werdet es alle bedauern, dass ihr mein Eigentum geraubt und meinen Hort zerstreut habt. Ich bin langmütig im Frieden wie im Hass.«
Grautaz verstummte. Er ragte über Darnamur auf. Sein Kopf schwebte verschwommen im Zwielichtglanz unter der Höhlendecke, eine finstere Wolke, getragen von einer roten und silbernen Säule. Darnamur war nichts als ein Floh zu Füßen des Unkwitt. Seine Brust war so eng, dass sie gegen jeden Atemzug anzukämpfen schien.
Darnamur zwang sich, tief Luft zu holen, und es war, als würde in seinem Inneren etwas bersten. Das lastende Gefühl verging. Das Blut rauschte ihm in den Ohren. Die albtraumhafte Stimmung löste sich auf, und Darnamur sah die Welt wieder als das, was sie war.
Ein Raum, und Körper, verbunden durch Bewegung. Ein Auftrag. Ein Einsatz.
Und er war auf sich gestellt.
Darnamur blickte nach oben und sah, wie Grautaz ein Bein hob. Der Gnom duckte sich, zum Sprung gespannt. Das Bein des Drachen fuhr herab, genau auf ihn zu.
Und Darnamur tat einen Satz nach vorn und wechselte im selben Moment die Größe. Sofort kam er wieder am Boden auf, rollte sich ab und stieß sich voran. In dieser Gestalt war er viel schneller als in Käfergröße.
Die Pranke sauste auf ihn nieder. Krallen schossen hervor und krümmten sich zu scharfen Sicheln. Darnamur sah die massive Ferse des Drachenfußes herabsausen, und kurz flackerte die Erinnerung an Gredin in ihm auf - an einen verwischten roten Fleck auf dem Boden.
Dann krachte die Pranke nieder, und erschütterte die Höhle.
Wito war zornig.
Vielleicht war Daugrulas Schicksal besiegelt gewesen. Aber den Augenblick ihres Todes hatte sie selbst gewählt. Es wäre ihr ein Leichtes gewesen, noch ein wenig länger zu bleiben, seine Fragen zu beantworten - und Wito hatte viele Fragen.
Doch vielleicht war es Daugrula zur Natur geworden, in Rätseln zu sprechen, ihre Worte auszustreuen wie Saatkörner - winzige Samen, denen man nicht ansah, was daraus werden sollte. Harmlos sahen sie
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