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Gefaehrtin Der Daemonen

Titel: Gefaehrtin Der Daemonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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weiten blauen Hose, deren Beine sich über großen Fellstiefeln bauschten, und einem hellen blauen Mantel, der sich an ihre schlanke Gestalt schmiegte. Ein Fellhut umrahmte ihr Gesicht, betonte ihre cremefarbene Haut. Sie stand hochaufgerichtet, majestätisch da. Ein Messergurt zog sich über ihren Oberkörper. Sie war wunderschön, vornehm, und strahlte eine natürliche Autorität aus.
    »Oh.« Mein Herz raste. »Meine Güte.«
    Es war ein Schock, sie zu sehen, ein harter Schlag gegen mein Herz.
    Ich rechnete nicht damit, dass sie mich angreifen würde. Meine Großmutter war unglaublich schnell, wie eine Viper: Sie stieß zu, wild, ohne Gnade. Ihre Klinge prallte von meinem Hals ab, schlug Funken, bevor ich auch nur begriff, was sie da tat. Ich fiel hin, sie stürzte sich auf mich, setzte sich rittlings auf meinen Körper, im Gras, presste ihre Knie auf meine Brust. Ihre Augen waren furchteinflößend. Voller Mordlust.
    Sie hielt mich fest, presste eine Klinge gegen meine Kehle. Mein Herz hämmerte, ich bekam kaum Luft. Ich war zu schockiert, um zu protestieren, als sie auf mich einstach. Das Messer prallte mit einem Singen von meiner Haut ab.
    Sie verzog den Mund. »Was bist du?«
    »Maxine«, stammelte ich. »Deine Enkelin.«
    Sie runzelte die Stirn. Jede Linie, jede Kante ihres Gesichts wirkte so hart wie Fels. »Unmöglich. Du bist ein Dämon.«
    »Sieh mich an«, bat ich sie. »Hör auf die Jungs.«

    Großmutter zuckte zurück, ihr Blick glitt suchend über mein Gesicht. Mein Finger kribbelte. Der eiserne Ring.
    Endlich, nach einer Ewigkeit, erhob sie sich sehr behutsam von meinem Körper. Und ließ sich in das Gras zu meinen Füßen fallen. Die Wut war aus ihrem Blick verschwunden, war einem gehetzten Ausdruck gewichen. Ich hörte Glöckchen, die sich näherten, spürte, wie die Reiter kamen. Meine Großmutter wandte den Blick nicht von meinem Gesicht, sondern stieß nur ein scharfes Wort aus. Einen Moment später läuteten die Glöckchen wieder, entfernten sich. Das Gras zischte, als der Wind darüber fuhr. Ein Adler schrie.
    »Wie?« Sie klang heiser.
    »Das weiß ich nicht.« Ich klang wohl schwach, atemlos. Ich war immer noch wie betäubt. »Ich habe … etwas versucht. Aber du solltest mich eigentlich nicht sehen können. Ich sollte nicht …« Ich verstummte und leckte mir die Lippen. »Wo bin ich denn? In welcher Zeit?«
    Ihre Miene verfinsterte sich. »Mongolei. 1972.«
    Ich atmete zischend aus. »Ich war aber in Seattle. 2008.«
    Großmutter schloss die Augen. Ich hörte, wie ein Mädchen rief, links von mir. Ich erstarrte innerlich, konnte mich nicht rühren. Meine Großmutter wirkte ebenfalls wie versteinert, doch dann sprang sie auf, drehte sich um und streckte abwehrend die Hände aus.
    Zu spät. Meine Mutter tauchte auf.
    Sie war vierzehn, schon groß, aber dürr. Ihre Haar war zu Zöpfen geflochten. Ihre Haut glühte, die Augen glänzten und ihre Wangen leuchteten vor Gesundheit so rot, dass sie Rosen hätten eifersüchtig machen können. Ihre Arme waren nackt. Keine Tätowierungen. Noch nicht. Ein Schluchzen stieg in mir hoch. Am liebsten wäre ich im Gras verschwunden.
    Sie blieb wie angewurzelt stehen, als sie mich sah. Auf der
Stelle. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte, oder schreien. Es war einfach zu viel. Wir drei, zusammen. So. Ich wurde verrückt. Der Samenring hatte mich verdreht, aus dem Gleichgewicht gebracht.
    »Jolene«, sagte Großmutter. »Setz dich.«
    Meine Mutter glotzte mich geradezu an, starrte auf die Tätowierungen auf meinen Armen. Schließlich gehorchte sie, fiel ins Gras, als wären ihre Knie weich geworden. Sie war ungelenk, linkisch, aber ich wusste, dass sie dem noch entwachsen würde. Ich dagegen lernte immer weiter, wie das ging.
    Großmutter tippte meiner Mutter mit dem Finger aufs Knie. »Das ist Maxine, Baby.«
    »Hallo«, sagte meine Mutter sichtlich beklommen.
    »Hi«, erwiderte ich und sah meine Großmutter an. Sie starrte mich an, rieb sich die Wange, ebenso wie meine Mutter es getan hatte, als ich älter wurde. Ich kam mir wie ein Schmetterling vor, der an den Flügeln mit Stecknadeln festgehalten wurde.
    Großmutter griff in die Jacke und zog eine kleine Dose heraus. Darin waren dünne Papierchen und Tabak. Sie drehte sich eine Zigarette, suchte ein Streichholz, beugte sich vor, riss es an meinem Arm an. Es brannte. Sie entzündete die Zigarette, nahm einen tiefen Zug und löschte die Flamme des Streichholzes auf ihrer Zunge. Ich war

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