Gefaehrtin Der Daemonen
Bündel aus dem Umhang.
Die Jacke meiner Mutter. Ihre Handschuhe. Ihre Messer. Und obenauf der Samenring, der wie eine dunkle Perle schimmerte.
»Du hast all das gerettet«, sagte ich leise.
»Du hast dein Eigentum wie ein Geist von dir geworfen«,
murmelte er. »Ahsen konnte nicht schnell genug danach greifen.«
Ich strich über das weiche Leder der Jacke meiner Mutter. Meine Augen brannten, mir schnürte sich die Kehle zu. Ich nickte einmal, wollte etwas sagen, brachte aber nur ein geflüstertes »Danke« heraus.
»Dein Herz lebt darin«, erwiderte er leise. »Das ist eine Gefahr, Jägerin, sein Herz an so kleine Dinge zu binden.«
»Kleine Dinge, kleine Momente.« Ich nahm den Samenring und legte ihn auf meine Handfläche. »Hast du niemals geliebt, Oturu?«
»Ich habe geliebt«, antwortete er. »Wenn Liebe das Verlangen ist, andere überleben zu sehen. Wenn Liebe das Verlangen ist, niemals allein zu jagen.«
Meine Hand schloss sich um den Samenring. »Was hat mir meine Mutter verheimlicht?«
»Das kann nur sie dir verraten. Aber gib Acht. Sobald du den Samenring benutzt, wird Ahsen es spüren und zu der Quelle kommen.«
Ich zögerte. »Wirst du bei mir bleiben?«
»Ich kann dich nicht vor ihr beschützen.«
»Ich weiß.« Ich starrte unter seine Krempe und tat, als könnte ich seine Augen sehen. »Ich will nicht allein sein.«
»Ah.« Er seufzte. »Aber Jägerin, du hast doch noch andere.«
»Du bist hier«, sagte ich. Aber es war mehr, mehr als ich ertragen oder auch nur aussprechen konnte. Es fiel mir schwer. Je länger ich in seiner Nähe war, desto stärker wurde das beunruhigende, tröstende Gefühl, als wäre seine Gegenwart wie ein alter Handschuh, ein vertrautes Messer, das Gewicht der Jacke meiner Mutter.
Das war falsch. Er war ein Dämon. Ich war pervers.
Oturu tanzte davon. Die Dolche seiner Zehen gruben sich in das Dach, als er sich wirbelnd hinkauerte. Sein Umhang breitete sich über Teerpappe und Stahl. Ich kniete mich hin, an den Rand des Abgrundes. Es fing zu regnen an. Zee, Rohw und Aaz scharten sich um mich, Dek und Mal legten ihre Kinne auf meine Ohren. Ich hielt den Samenring hoch, starrte ihn an, während meine Finger die eingravierten Rillen entlangfuhren. Mir schwindelte.
»Gib Acht, wenn du fällst, Jägerin«, wisperte Oturu. »Es ist ein langer Weg hinab in dein Herz.«
Ein langer Weg hinab. Aber nicht in mein Herz. Ich dachte an meine Mutter, starrte den Samenring an, diese Adern aus
Silber und Perlmutt. An meinem Finger brannte das gravierte Eisen, das Schwert.
Zee packte mein Handgelenk. Oturu zuckte zusammen, und eine Haarsträhne peitschte vor, um das Metall zu berühren.
»Warte«, hauchte er. »Jägerin …«
Zu spät. Der Samenring schluckte meinen Verstand.
Und spie mich wieder aus.
Ich öffnete meine Augen und befand mich woanders. Die Sonne stand hoch oben an einem Himmel, der so groß war wie die ganze Welt, und tauchte alles in einen goldenen Nebel. Steppe, so weit ich blicken konnte. Am Horizont sah ich einige zerklüftete, schneebedeckte Gipfel, von Wolken umringt. Ich roch Pferde. Hörte lautes Männergelächter. Und Glockenklang.
Ich trug noch immer mein Tanktop und meine Sweatpants, aber die Jungs waren auf meiner Haut. Ich drehte mich um, sah, dass ich auf einem kleinen Hügel stand. Unter mir, dicht unter mir, waren neben einem mäandernden Fluss niedrige runde Zelte errichtet worden. Schafe grasten. Vier Männer auf Pferden. Einer von ihnen hatte einen goldenen Adler auf dem Arm, der in einer gepolsterten Stütze ruhte, die an seinem Sattel befestigt war.
Die Männer starrten mich an, ich starrte zurück. Einen Moment lang verlor ich mich in der Intensität ihrer klaren, ehrlichen Blicke, und in dem plötzlichen Wunder, barfuß im Gras einer anderen Zeit zu stehen.
Dann dämmerte mir, dass ich eigentlich unsichtbar sein sollte. Jedenfalls war das die Art und Weise, wie der Samenring gewöhnlich funktionierte.
»Also«, sagte eine raue Stimme. »Das hier ist anders.«
Ich zuckte zusammen, sprang zur Seite, landete auf einem Fuß. Die Sonne stach wie Dolche in meine Augen, aber ich blinzelte, hob schützend die Hand und …
… sah mich meiner Großmutter gegenüber.
Jean Kiss.
Ich kannte sie zwar nur von alten Fotos, aber die Augen waren unverwechselbar. Dunkel, klug und scharf prüfend. Eine Frau, der nichts entging. Und sie war jung, höchstens Ende dreißig. Und genauso gekleidet wie die Männer auf den Pferden. Mit einer
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