Gefaehrtin Der Daemonen
Füßen gefesselt.
Rohw glitt heran und durchtrennte behutsam die Fesseln, zögerte und fuhr dann mit einer Kralle über die schmutzige Wange des Jungen. Rohw konnte mit den Händen Stahl durchtrennen und Steine bluten lassen. Aber die Haut des Jungen blieb unversehrt.
»Rohw«, sagte ich. Der kleine Dämon sah mich an. Sein Blick wirkte bedauernd, was mich schockierte. Noch nie hatte ich Emotionen in seinem Gesicht gesehen. Nicht mehr seit dem Tod meiner Mutter.
Zee tauchte auf, starrte seinen Bruder an und dann den Jungen.
»Ah«, murmelte er.
»Was?«, fragte ich.
»Sizilien«, antwortete er und klopfte Rohw auf den Rücken. Ich hatte keine Ahnung, was das bedeutete, aber es war klar, dass der Junge die Dämonen an jemanden erinnerte. Und es war keine gute Erinnerung.
Ich beugte mich über den Jungen, strich sein dunkles Haar zurück. Er wirkte jünger, wenn seine Miene entspannt war. Und er roch widerlich süß. Nach Chloroform.
Aber er lebte.
Ich atmete langsam aus, und dann zog ich mein Handy aus der Tasche.
4
G rant tauchte zehn Minuten später auf. In seinem alten Jeep, den er wegen seines versehrten Beins umgebaut hatte. Er hielt an, öffnete die Tür, streckte seinen langen Arm aus und zog mich kurz an sich. Er roch nach Zimt und Sonne und war so warm wie ein Kaminfeuer im Winter. Grant war eigentlich immer warm.
Die Flöte lag auf dem Beifahrersitz. Seine auserkorene Waffe. Er ließ mich los, griff nach seinem Gehstock und humpelte zum Lieferwagen. Ich folgte ihm und hörte, wie er ausatmete.
»Der Junge hat Badelt gesehen«, erklärte ich.
»Ist er deshalb hier?«
»Schwer zu sagen. Jedenfalls hat ihn ein Zombie als Faustpfand benutzt.«
»Erzähl es mir!«, forderte er mich auf. Ich musste mich kurz sammeln. Nicht, weil die Geschichte so schlimm war. Es ging weit tiefer.
Grant würde niemals verstehen, was es mir bedeutete, neben einem anderen Menschen zu stehen, der mich kannte, der alles von mir wusste und mir zuhörte, mit einer so schlichten, beiläufigen, erwartungsvollen Intimität. Niemand konnte auch nur ahnen, außer den Jungs, wie einsam ich in all den Jahren gewesen war. Und wie sehr ich geglaubt hatte, mein ganzes Leben lang so einsam zu sein.
Oder wie wichtig diese kleinen Augenblicke waren. Wie sehr ich sie liebte.
Ich erklärte ihm alles, was passiert war. Einschließlich Ediks Botschaft. Grant packte mein Handgelenk, während er mich mit seinen dunklen Augen nachdenklich musterte. »Alles klar mit dir?«
»Nein.« Ich kroch in den Van, zog den Jungen vorsichtig heraus und legte ihn mir über die Schulter. Er war sehr leicht für sein Alter, und ich war kräftiger als die meisten Frauen meiner Größe, sogar als die meisten Männer. Das musste ich auch sein, um das Gewicht der Jungs zu tragen. Sie waren sehr kompakt und wogen als Tätowierung ebenso viel wie leibhaftig.
Er wurde nicht wach. Ich schob ihn in den Jeep. Grant kontrollierte, ob wir beobachtet wurden, aber nur Zee und die anderen Jungs patrouillierten am Rand des Parkplatzes entlang und fraßen Glasscherben. Weit entfernt sah ich Autoscheinwerfer. Mein Gesicht war nass. Vom Regen.
Grant schloss die Tür. »Ist der Junge noch in Gefahr?«
»Das weiß ich nicht.« Ich stockte, dachte an das Mädchen mit dem Schlagring. »Das hier ist meine Schuld.«
»Nein. Badelt … und was mit dem Kind passiert ist …«
»… wäre nicht geschehen, wenn ich noch unterwegs gewesen wäre.«
Er sagte nichts, sondern sah nur zwischen uns auf den Boden. Die langen Finger seiner linken Hand zuckten, als würde er Klavier oder Flöte spielen, oder in Melodien denken und sehen. Was auch zutraf.
Grant hatte eine besondere Gabe, eine sogenannte Synästhesie. Wenn er Musik machte, Stimmen oder irgendwelche Geräusche hörte, angefangen vom Topfklappern bis zum Vogelgezwitscher, sah er Farben. Er sah auch Farben in Menschen, ganz gleich, was sie für Geräusche machten. Es waren Reflexionen
der Seele und des Geistes, die Essenz eines menschlichen Herzens, die sich in Schattierungen von Licht und Energie spiegelte. Singende Auren.
Wenn Grant den Gesang erwiderte … geschahen Dinge.
Zart berührte er mein Haar. Der Anblick und das Gefühl, das er auslöste, lief mir warm über den Rücken, bis ins Herz hinein. Ich sehnte mich nach dieser Wärme.
»Süßes Herz«, murmelte er. Ich hörte und sah die Trennung dieser beiden Worte, weil er seine Notizen an mich so unterschrieb, beiläufige Kritzeleien, wenn er mich an etwas
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