Gefaelschtes Gedaechtnis
Beiträge für das N ew England Journal of Medicine und hatte auch für populäre Zeitschriften wie Harper's und Atlantic Artikel verfasst.
Alle seine Beiträge waren über Nexis zu bekommen, und sie lud sie auf Diskette. Anschließend informierte sie sich eine Stunde lang über explizite und implizite Erinnerungen, über kognitive Verschiebung, Hypnose und die Funktion des Hippocampus für das Langzeit- und Kurzzeitgedächtnis.
Nichts davon hinterließ einen bleibenden Eindruck.
Also wandte sie sich dem Brewster-Fall zu, der in einer alten Ausgabe von The American Lawyer ausführlich erörtert wurde.
Shaw war sachverständiger Zeuge der Verteidigung gewesen. Zur Debatte stand Mrs. Bresters in der Therapie >wieder entdeckte< Erinnerung an das angeblich gewalttätige Verhalten ihres Mannes, für das es ansonsten keinerlei Beweise gab.
Shaw, der von Socrates Nelson vernommen wurde, erläuterte das Verhältnis zwischen Lernen und Erinnern. Dem Neurobiologen zufolge waren Erinnerungen nicht statisch, sondern dynamisch und hatten eine physiologische Grundlage. Anders ausgedrückt, sie veränderten sich, und diese Veränderungen vollzogen sich auf der physischen Ebene der Zellen.
»Wenn dem nicht so wäre«, sagte er vor Gericht, »wären wir nicht lernfähig.« Als Beispiel nannte Shaw den komplexen Prozess, wie man lernt, einen Baseball zu schlagen. Dafür seien mindestens drei unterschiedliche Arten von Erinnern erforderlich — das motorische Erinnern, das visuelle Erinnern und das sequenzielle Erinnern —, die in jeweils unterschiedlichen Teilen des Gehirns erfolgten.
Die meisten Menschen wurden nie sehr gut darin, einen Baseball zu treffen. Doch selbst das eingeschränkteste Beherrschen dieser Fähigkeit erforderte wiederholte Versuche, bei denen der jeweils jüngste Versuch mit dem vorangegangenen verglichen wurde. Das war das A und 0 des physischen Lernens — die Verbesserung der Technik durch Feedback. Ermöglicht wurde dies durch den Umstand, dass jeder Versuch, den Ball mit dem Schläger zu treffen, das neurologische System der Erinnerung veränderte. Wenn dann der Neuling zum ersten Mal traf, kodierten die entsprechenden Neuronen die Information als erfolgreichen Versuch, woraufhin die verschlüsselten Daten zu einer Art Schablone für alle zukünftigen Versuche wurden.
»Im Grunde ist das bloß gesunder Menschenverstand«, führte Shaw aus. »Erinnerungen werden durch neue Erfahrungen abgewandelt. Auf einer unbewussten Ebene ist uns das eigentlich klar, aber was wir möglicherweise nicht begreifen, ist, dass derselbe Mechanismus, durch den wir etwas lernen können — das heißt, der es uns möglich macht, unsere Erinnerung zu modifizieren —, zugleich die Möglichkeit schafft, dass wir uns unzulänglich an die Vergangenheit erinnern.
Wenn meine Frau und ich über ein gemeinsames Erlebnis sprechen — ein Konzert, einen Streit, eine Reise —, erinnern wir uns nur selten an dasselbe Erlebnis. Aufgrund eines Prozesses, den man >Chunking< nennt, wird unsere Erinnerung an das Konzert durch Erinnerungen an andere Konzerte beeinflusst. Das können auch Konzerte sein, die wir im Fernsehen oder Kino gesehen haben, sogar Konzerte, von denen uns bloß erzählt worden ist. Und all diese Erinnerungen tauschen Details untereinander aus — sodass unsere Erinnerung an einen Nachmittag im Lincoln Center durch einen Dokumentarfilm über Woodstock verändert werden kann, den wir irgendwann einmal gesehen haben, und auch durch das, was wir über Wagner gelesen haben — ganz zu schweigen von dem Traum, in dem wir Delfine durch die Mailänder Scala schwimmen sahen.
Es funktioniert so: Jede Erinnerung ist über Neuronenstraßen mit allen anderen Erinnerungen verbunden. Aber in Anbetracht dessen, dass keine zwei Menschen dieselben Erfahrungen haben, muss jeder von uns eine einzigartige Matrix von Erinnerungen und neuronalen Verbindungen besitzen. Wenn meine Frau und ich also ein Konzert besuchen, machen wir ähnliche, aber unterschiedliche Erfahrungen — und haben dann ähnliche, aber unterschiedliche, Erinnerungen an dasselbe Ereignis. Und nicht nur das: Da diese Erinnerungen selbst wiederum einer ständigen weiterführenden Entwicklung unterliegen, kann es passieren, dass die Erinnerungen, die meine Frau an das Konzert hat, absolut nicht wiederzuerkennen sind — wenigstens für mich.«
Trotz des Einspruchs, den der gegnerische Anwalt erhob, hatte Shaw anschließend etliche Experimente beschrieben, die sich mit
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