Gefaelschtes Gedaechtnis
jetzt die ausgestreckten Beine anzog und sich vorbeugte, aufmerksamer lauschte.
Duran: Und wessen Auto war das?
Henrik: ... ich ... ich weiß nicht mehr.
Duran: War es vielleicht das Auto deiner Eltern?
Henrik: Ja. Stimmt.
Duran: Prima. Und was ist dann passiert?
Henrik: Da waren Lichter.
Duran: Was für Lichter?
Henrik: Ich hab gedacht, das sind Autoscheinwerfer, aber —
Duran: Nein. Ich hab dir das schon mal erklärt, Henrik. Das hat dein Vater gedacht. Du warst sieben. Du wusstest nicht, was du denken sollst. Und dann war das Licht überall. Du warst richtig darin eingehüllt, weißt du noch?
Henrik: Ja. Ja, natürlich.
Duran: Es war wie — kannst du mir sagen, wie es war, Henrik?
Henrik: Ich weiß nicht.
Duran: Es war wie ein Suchscheinwerfer, nicht wahr?
Henrik: Ja! In meiner Brust. Es war wie ein Suchscheinwerfer in meiner Brust!
Adrienne schaltete den Rekorder ab und starrte Duran an, der selbst auf der vordersten Kante seines Sessels saß und schockiert drein blickte. »Sie erfinden es«, erklärte sie.
Er nickte.
»Das ist wie ein Drehbuch«, sagte sie.
»Ich weiß.«
»Soll das etwa Therapie sein?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Das ist ... das ist etwas anderes. Ich weiß nicht, was es ist.«
»Und dieser Mann denkt ... was? Was hat er für ein Problem?«
Duran räusperte sich. »Er leidet unter Wahnvorstellungen. Er denkt, er wurde von Außerirdischen entführt. Er denkt, er hat einen Wurm im Herzen, der ihm Befehle erteilt.«
Adriennes Lachen war kurz und böse und endete so jäh, wie es begonnen hatte. »Was tun Sie dem armen Kerl nur an?«
Duran war einen Moment sprachlos. Dann räusperte er sich zum zweiten Mal und sagte: »Nun ja, es klingt so, als würde ich ihn in den Wahnsinn treiben.«
»Wie Nico, nur mit einer anderen Geschichte.«
Er wusste nicht, was er sagen sollte.
Sie beugte sich vor, drückte die Play-Taste und lauschte dann, wie Duran seinen Klienten immer tiefer in den Wahnsinn führte. Eine halbe Stunde später, als die Sitzung beendet war, drückte sie auf Stopund sah ihn an. »Ich begreife das nicht«, sagte sie. »Warum reden Sie den Leuten so einen Scheiß ein?«
»Ich weiß es nicht.«
»Das ist ja wie Gehirnwäsche! Meine Schwester hat gedacht, der Teufel hätte sie gebumst, als sie zehn war, und dieser Kerl hier — Henry —«
»Henrik.«
»Egal! Dieser Kerl hier denkt, er hätte 'nen Bandwurm im Kopf—«
»Im Herzen.«
»Stop! Ich bin keine Patientin von Ihnen!«
»Das weiß ich ja, aber —«
»Was soll das Ganze, Doc?«
Er schüttelte den Kopf, suchte nach Worten. Schließlich sagte er: »Ich bin nicht sicher. Ich meine, das bin nicht ich — ich bin das nicht.«
»Was?!«
»Na ja, schon, aber ... ich würde niemals mit einem Patienten so reden.«
»Sie haben doch selbst gehört, was Sie sagen.«
»Ich weiß, aber —«
»Was denn nun? Sind Sie's? Sind Sie's nicht? Was denn nun?«
Er schwieg einen Moment. Schließlich sagte er: »Ja. So sieht's aus. Genau so.«
Am Abend ging Duran etwas zu essen holen und kam eine halbe Stunde später mit einem gegrillten Hähnchen, Kartoffelsalat und einer gekühlten Flasche Chardonnay zurück. Sie aßen in der Küche, schweigend, an einem grauen Resopaltisch, dessen Metallkanten Adrienne an den Küchentisch in Decks und Marlenas Haus erinnerten.
Als sie fertig war, stand sie auf, sodass der Stuhl laut über den Boden kratzte. »Ich geh ein Weilchen spazieren«, erklärte sie.
»Möchten Sie Gesellschaft?«, fragte Duran.
»Nein. Ich muss nachdenken.«
Die Nacht war kühl, die Luft frisch. Es fiel ihr schwer, mit dem Gedanken fertig zu werden, dass Duran Nikki in den Wahnsinn geredet hatte, genau wie den Holländer.
Und gerade jetzt, wo sie anfing, ihn zu mögen (er hatte schließlich einen netten Humor und die schöne Angewohnheit, sie aus gefährlichen Situationen zu retten) ... Gerade wo sie anfing, ihn zu mögen (er sah eigentlich ganz gut aus, groß und schlank, mit ebenmäßigen Gesichtszügen und kobaltblauen Augen) ... Gerade wo sie anfing, ihn zu mögen, wurde immer deutlicher, dass er so eine Art Rasputin war.
Sie ging bis zum Ende der Promenade und wollte schon umkehren, doch dann stieg sie die hölzernen Stufen zum Strand hinunter. Sie würde Sand in die Schuhe bekommen, aber das war ihr egal. Es war eine herrliche Nacht, die Sterne leuchteten so klar, dass sie beinahe kitschig aussahen, und der Mond war eine kalte, saubere Scheibe, die einen Pfad aus purem Silber auf das
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