Gefaelschtes Gedaechtnis
schwarze Wasser warf. Es war Ebbe. Die Brandung rollte mit leisem Rauschen heran und wich mit dem Kickern von Kieselsteinen wieder zurück.
Duran, dachte sie. Was war mit ihm los? Auf seine Art war er genauso zerbrechlich, wie Nikki es gewesen war — oder zumindest genauso gestört. Sie zog sich die Schuhe aus und nahm sie in die rechte Hand, während sie am Wasser entlangging, mit den kleinen Wellen spielte. Warum so verrückte Ideen?, fragte sie sich. Sie waren nicht einmal originell oder sonderlich interessant. Außerirdische und satanischer Kindesmissbrauch. Es war lächerlich. So etwas nahm keiner mehr ernst — heutzutage nicht mehr.
Und ein Wurm? Im Herzen! Also wirklich!
Es wäre lachhaft, wenn es nicht so mörderisch wäre — und es war mörderisch. Bonilla war tot, und der Partner von dem Mann, der ihn getötet hatte, war tot. Und der Mann im Treppenhaus des Comfort Inn war tot. Und sie wäre es auch, wenn Duran nicht gewesen wäre.
Sie sprach leise vor sich hin und schüttelte den Kopf. Es ergab keinen Sinn. Warum hatte Nikki ein Gewehr — und noch dazu so ein Gewehr? Und was war das für technischer Kram in Durans Nachbarwohnung? Und was hatten sie in ihrer Wohnung gesucht?
Sie konnte sich keinen Reim darauf machen. So ziemlich das Einzige, das in ihrer Wohnung irgendetwas mit Nikki zu tun hatte, war ... ihre Asche. Falls sie hinter dem Gewehr her waren, tja, das hatte sie nicht. Es war noch immer in dem Schrank in Nikkis Wohnung. Der einzige andere Gegenstand war ... der Laptop.
Aber sie hatte schon sämtliche Ordner und Dateien durchgesehen, und da war nichts. Das Adressbuch enthielt etwa ein Dutzend Namen außer Durans und ihrem eigenen, und davon war keiner sehr interessant: Ramon und die Bank, ein paar Restaurants mit Lieferservice. Jacks Tierarzt. Es waren noch einige andere Namen dabei gewesen, die ihr nicht mehr einfielen, aber alle waren ganz eindeutig gewesen. Das Nagelstudio. Friseur. So was in der Art. Es gab keine Geliebten, denen man die Schuld an dem Selbstmord geben konnte, und auch keine Einträge, die auf eine Mitgliedschaft in der Bürgerwehr von Georgetown oder im Verband weiblicher Scharfschützen Amerikas hindeuteten.
Dennoch ...
Als sie zurück ins Haus kam, sah sie, dass Duran gespült und die Küche aufgeräumt hatte. Sie hörte den Fernseher im Nebenzimmer — eine helle Stimme, die. etwas sagte und mit schallendem Gelächter belohnt wurde, aber als sie hineinging, lag Duran schlafend auf der Couch.
Sie trug den Laptop in die Küche, stellte ihn auf den Tisch, klappte den Bildschirm hoch und schaltete ihn an. Dann lehnte sie sich zurück und wartete, bis er hochgefahren war.
Als es soweit war, wählte sie Nikkis AOL-»Mail Center« an und ging »Neue Mails«, »Alte Mails«, »Gesendete Mails« ... durch, und natürlich war nichts Interessantes dabei. Werbeangebote von Travelocity, ein paar Rundbriefe von der Jack Russell Terrier Society, das war's so ziemlich.
Im Microsoft-Programm Outlook gab es eine Kalenderfunktion, und falls Nikkis Leben auch nur annähernd so gewesen wäre wie Adriennes, hätten die Einträge recht aufschlussreich sein können. Adriennes Kalender war zum Bersten gefüllt mit Terminen und Notizen. Sie notierte darin ihr Gewicht und die Distanzen, die sie joggte. Sie hatte Geburtstage, Abgabetermine und vieles andere darin gespeichert. Aber Nikkis Kalender war so reduziert wie ihr Leben. Es gab Termine — bei Duran, dem Nagelstudio, dem Friseur, dem Tierarzt. Und alle zwei Wochen der schlichte Eintrag: A — um 7 bei mir oder A — um 8 bei ihr — Erinnerungen an ihre gemeinsamen Abend essen (von denen Adrienne, wie sie sich eingestand, die Hälfte mit irgendwelchen Ausreden abgesagt hatte). Aber mehr auch nicht. Der Kalender entlarvte Nikki nicht als heimliche Kirchgängerin, Teufelsanbeterin oder Kunststudentin. Sie hatte keine Selbsthilfegruppe für Opfer rituellen Missbrauchs besucht und auch keinen Unterricht für Scharfschützen genommen.
Alles in allem waren die Laptopdateien eine Enttäuschung, aber keine Überraschung. Nach der Rückkehr aus Europa hatte Nikki ausgesprochen zurückgezogen gelebt. Sie fuhr Inlineskates, ging mit Jack spazieren und blieb überwiegend für sich. Ansonsten — bis auf die Sitzungen mit Duran — hatte sie so gut wie nichts unternommen, außer vielleicht fernsehen. Adrienne war also nicht schockiert über Nikkis leeren Kalender.
Aber er warf dennoch ein paar nahe liegende Fragen auf: Wozu brauchte
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