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Gefaelschtes Gedaechtnis

Titel: Gefaelschtes Gedaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John F. Case
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der Potomac und der Shenandoah zusammenflossen. Das Hotel war nahezu leer — die Saison war vorüber —, und sie hatten die freie Auswahl an Zimmern. Erneut nahmen sie aus Sparsamkeitsgründen nur eines. Adrienne wollte ein Doppelzimmer mit Aussicht und — das war ihr besonders wichtig — zwei Betten.
    Ein betagter Page führte sie aufs Zimmer und wartete an der Tür, bis McBride ihm einen Geldschein in die Hand drückte. Sobald der Mann gegangen war, traten sie beide auf den Balkon und genossen den Ausblick.
    Die Adresse von Shapiro, die sie hatten, war ein Postfach in dem kleinen Städtchen Bakerton. Sie fuhren dorthin — es waren nur wenige Kilometer von Harper's Ferry — und wollten sich einfach durchfragen. Es konnte doch wohl nicht so schwer sein, in einem Ort mit dreiundsechzig Einwohnern jemanden zu finden.
    Und richtig, es war kinderleicht.
    Bakerton bestand aus höchstens zwanzig, oder dreißig Häusern, die verstreut über vierzig Hektar hügeliges Waldgebiet lagen. Außer den Häusern und ein paar Wohnwagen gab es eine Kirche und einen Laden mit einer einzigen Tanksäule davor.
    Sie gingen hinein. Das Postfach diente nicht, wie sie gedacht hatten, dem Schutz der Privatsphäre. In dem Ort wurde die Post einfach nicht mehr zugestellt, daher hatte jeder Einwohner ein Postfach.
    Nachdem er das erklärt hatte, sagte der Ladenbesitzer: »Landet alles gleich da vorne«, und deutete in einen offenen Nebenraum, wo Reihen von Fächer mit einem Türchen und einem Zahlenschloss zu sehen waren. Vor dem Eingang standen drei Männer, die Kaffee aus Styroporbechern tranken. Sie hatten alle eine Vorliebe für Tarnkleidung.
    Ihrem Aussehen nach hätte McBride vermutet, dass sie über Sport oder Rotwildjagd sprachen, aber als er zu ihnen trat, schnappte er gerade noch auf, wie einer sagte: »Ihr wollt doch wohl nicht behaupten, dass die NASDAQ nicht jeden Realitätssinn verloren hat.«
    Fast hätte er laut aufgelacht. Aber er beherrschte sich und fragte: »Wissen Sie, wo ich einen Mann namens Shapiro finde?«
    »Sie meinen unseren James Bond?«
    McBride schmunzelte. »Ja.«
    »Der wohnt an der Quarry Road«, sagte ein verhutzeltes Männlein in einem grünen Overall und mit einer Baseballmütze auf dem Kopf.
    »Und wo ist das?«
    »Zur Vordertür raus, direkt gegenüber geht eine kleine Straße von der Hauptstraße ab, die Sie gekommen sind. Das ist die Quarry Road. Die fahren Sie zirka zwei Kilometer hoch, bis Sie links einen roten Briefkasten sehen. Da wohnt Sid.«
    »Vielen Dank.«
    »Kann aber sein, dass er gerade beim Beten ist«, sagte der Mann. »Falls ja, müssen Sie warten, bis er fertig ist.«
    »Nicht beim Beten«, sagte einer der anderen beiden. »Beim Meditieren. Das ist was anderes. Aber Carson hat Recht. Wenn er beim Meditieren ist, kuckt er einen nicht mal an. Wirkt unhöflich, aber so ist Sid nun mal.«
    »Ist er ... religiös?«, fragte Adrienne skeptisch. Es kam ihr un­ wahrscheinlich vor.
    »Buddhist«, erwiderte der erste Mann. »Jüdischer Buddhist. Er sagt, er hätte ein schweres Karma zu tragen. Schätze, irgendwas in seiner Vergangenheit, womit er fertig werden muss.«
    Die Quarry Road war eine Schotterstraße, auf der noch Pfützen vom letzten Regen standen. Sie führte durch ein dicht bewaldetes Gebiet, und die Stämme der schlanken, jungen Bäume waren schwarz vor Feuchtigkeit. Sie wurden kräftig durchgerüttelt, als sie ein Stück bergab fuhren und die grelle Wintersonne immer wieder durch den Wald flackerte. McBride bog in die Zufahrt ein und hielt kurz darauf neben einem zerbeulten Pick-up. Auf der Lichtung stand ein einfaches.Blockhaus. Etwa hundert Meter dahinter war ein großes Gebäude zu sehen, das aussah wie ein Gewächshaus. Rechts auf einer umzäunten Weide standen ein halbes Dutzend Lamas, die auf Adrienne und McBride zugetrottet kamen, als die beiden vom Auto zum. Haus gingen. Und dann sahen sie hinter den Tieren, fast mitten auf der Weide, Sidney Shapiro, der, wie McBride an den langsamen, eleganten Bewegungen erkannte, gerade Tai Chi machte.
    Trotz der Kälte war Shapiro barfuß und nur mit einer grauen Trainingshose bekleidet. Er bewegte sich mit äußerster Konzentration und Ruhe. Adrienne blickte McBride an und runzelte die Stirn, aber beide sagten kein Wort. Nach ein oder zwei Minuten verloren die Lamas das Interesse an ihnen und grasten weiter - einige ganz in der Nähe von Shapiro, der sich nicht daran zu stören schien. Der alte Mann war dünn, aber sehnig und

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