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Gefaelschtes Gedaechtnis

Titel: Gefaelschtes Gedaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John F. Case
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eigenen Wohnzimmer ... Das konnte einen schon aus dem Gleichgewicht bringen.
    Wie hatte sie es noch mal ausgedrückt? Der Mann, für den Sie sich ausgeben. Eine lächerliche Anschuldigung, aber dennoch hatte er das Gefühl, als hätte sie ihm mit einer Taschenlampe in die Seele geleuchtet - und einen grundlegenden Fehler entdeckt, der von seiner Stirn bis zu den Füßen verlief. Sie lag natürlich falsch, aber ihre Anschuldigung traf genau den Kern dessen, was ihn in letzter Zeit so sehr quälte: die Entfremdung, die er spürte, und das Gefühl, dass ... wie sollte er es ausdrücken?
    In seinem tiefsten Inneren gab es kein Inneres.
    Duran trank den Whisky aus, wandte sich vom Fenster ab und ging in die Diele. Dort nahm er das Foto seiner Mutter in die Hand, wie sie auf der Hollywoodschaukel auf der Veranda saß, den Kopf lachend nach hinten geworfen. Dann presste er die Augen zu und versuchte, sich zu erinnern, wie sie wirklich war. Und woran er sich erinnerte, war ... das Foto. Mom auf der Hollywoodschaukel ...
    Genau das war das Problem mit Erinnerungen — zumindest mit seinen Erinnerungen., Sie hatten nichts »Eidetisches«. Er hatte darüber gelesen, und Ernst Young benutzte das Wort bei seiner Erläuterung so genannter Proust'scher Erinnerungen, eine Anspielung auf die Szene, wo der bettlägerige Proust mit einem Mal in eine plastische Vergangenheit eintaucht, als er von einem teegetränkten Gebäck abbeißt.
    Nicht so Duran, dessen Langzeiterinnerungen fast rein visuell und nüchtern waren. Es gab weder Farbe noch Geruch, weder Geschmack noch Geräusch - nichts als das bloße Bild. Anders ausgedrückt: Er erinnerte sich an seine Mutter genauso, wie er sich an ... Eleanor Roosevelt erinnerte (oder Marilyn Monroe - oder Pocahontas).
    Eddie Bonillas Raubvogelgrinsen schwebte an seinem inneren Auge vorbei. Und die absurde Anschuldigung hallte in seinem Kopf wider: der Mann, für den Sie sich ausgeben.
    Wieso konnte er sich an Dinge — Worte — erinnern, aber nicht an die Stimme seiner Mutter? Auf Wunsch konnte er ihr Leben bis in alle Einzelheiten erzählen: Wo sie geboren worden war, dass sie sich einmal im Wald verirrt hatte, dass sie mit siebzehn vom Pferd gefallen war und sich das Schlüsselbein gebrochen hatte - weshalb sie nicht zum Schulabschlussball kommen konnte. Aber die Wahrheit war, an seine Mutter als Mutter konnte er sich nicht erinnern. Sie war Teil seiner >Datenbank< — so wie James Dean, der Hafen von Baltimore und die ungekürzte Division.
    Er ging zu seinem Schreibtisch, schlug die Telefonnummer des Standesamtes nach und wählte sie. Dann lauschte er einer langen, systematischen Ansage, die die einzelnen Schritte erklärte, wie man Einsicht in Geburts- und Sterbeurkunden nehmen konnte. Die Stimme wies darauf hin, dass diese Dokumente der Geheimhaltung unterlagen. Geburtsurkunden wurden erst nach hundert Jahren öffentlich zugänglich, Sterbeurkunden erst nach fünfzig Jahren. Einsichtnahme wurde lediglich den betreffenden Personen selbst sowie Familienangehörigen gewährt.
    Voraussetzung für die Einsichtnahme, so die Bandansage, war ein gültiger Ausweis mit Foto, was bewies, dass Bonillas Dokumente gefälscht waren. Allerdings ... er war Detektiv. Und nach dem, was Duran aus dem Fernsehen und aus Büchern wusste, lebten Privatdetektive offenbar von »Kontakten« und Tricks. Dass ein Privatdetektiv mit List und Tücke an eine Sterbeurkunde im Standesamt herankam, war ganz und gar nicht ausgeschlossen.
    Andererseits, dachte Duran, weiß ich doch nun wirklich, wer ich bin — und ob ich tot bin oder nicht. Das Dilemma, in dem er steckte, wäre vielleicht sogar ganz amüsant gewesen, wenn seine Klientin nicht Selbstmord begangen hätte und er jetzt auf Millionen Dollar verklagt wurde.
    Aber da war noch etwas, etwas, das Bonilla gesagt hatte. Es dauerte einen Moment - dann erinnerte sich Duran: das Sterbefallverzeichnis der Sozialversicherung. Der Detektiv war zum Standesamt gegangen, nachdem er Zugang zur Website der Sozialversicherung gehabt hatte.
    Und vielleicht ist das ja eine Erklärung, dachte Duran. Vielleicht hatte der Privatdetektiv jemanden mit einem ähnlichen Namen gefunden - oder gar mit dem gleichen Namen - und ihn mit mir verwechselt.
    Duran setzte sich an seinen Computer, ging ins Internet und suchte die Website, auf der die Namen der verstorbenen Sozialversicherungsmitglieder zu ermitteln waren. Es dauerte nur einen Moment, und dann fand er, was er suchte. Über ein halbes

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