Gefaelschtes Gedaechtnis
wacher.
Aber sie sprachen nicht. Duran betätigte die elektrischen Fensterheber in seiner Armstütze und ließ die Scheiben herunter, damit die kalte Luft sie wieder etwas zur Besinnung brachte. Als sie am Capitol Hill vorbeifuhren, wandte er sich ihr zu und fragte: »Darf ich was sagen?«
Sie nickte. »Was denn?«
»Ich habe Sie gewarnt.«
Sie blinzelte. Zog die Stirn kraus. »Was soll das heißen?«
»Das, was ich sage: Ich habe Sie gewarnt.«
Ihr Blick wurde noch finsterer. »Und wovor haben Sie mich gewarnt?«
»Zur Arbeit zu gehen.«
Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, schloss ihn dann wieder und schmollte vor sich hin. Es war gemein von ihm, ihr das vorzuhalten — selbst wenn er Recht hatte. Besonders wenn er Recht hatte. Und wenn er sich das nicht denken konnte, na ja ... Nach einer Weile fragte sie: »Wo fahren wir hin?«
»Bethany Beach.«
Sie warf ihm einen ungläubigen Blick zu, und er sah, dass es ihr besser ging. »Sind Sie verrückt geworden? Da kann ich nicht hin! Ich muss arbeiten! «
Duran schlug die Augen zur Decke.
»Wenden Sie«, befahl sie.
Duran lachte.
»Das ist mein Ernst!«, sagte sie. »Sie nehmen die nächste Ausfahrt. «
»Nein.«
»Was soll das heißen, nein? Verdammt, halten Sie an! Das ist schließlich mein Mietwagen. Das ist mein — aua!« Sie legte eine Hand auf die Prellung am Hinterkopf. Als er erneut zu ihr hinüberschaute, starrte sie auf das Blut an ihren Fingern.
»Es ist nicht sicher«, sägte sie kläglich, fast flüsternd.
»Was ist nicht sicher?«
»Mit Ihnen zusammen zu sein.«
Ein riesiger Truck überholte sie, wirbelte Gischt auf, und der Luftdruck brachte den Wagen zum Schaukeln. Beide sagten sie eine ganze Weile nichts. Sie passierten die Ausfahrten für Annapolis, und Duran entdeckte das erste Schild mit dem Möwen-Logo, das den Weg zur Bay Bridge wies.
Schließlich fragte sie: »Warum Bethany?«
Duran zuckte die Achseln. »Als Kind habe ich dort immer den Sommer verbracht. Wir hatten da ein kleines Haus am Strand.« Sie musterte ihn skeptisch. »Sind Sie sicher?«
»Klar — natürlich bin ich sicher.«
»Weil Ihr Gedächtnis bei solchen Sachen nicht gerade zuverlässig ist. Ich meine, wer Sie sind, wo Sie herkommen und so weiter.«
Ein grünes Schild am Straßenrand warnte vor Alkohol am Steuer.
Ein zweites informierte über die Frequenz für Verkehrsfunk. Dann kam die Mautstelle für die Brücke. Duran bremste den Wagen, reichte dem Mann an der Zahlstelle einen Fünf-Dollar-Schein, bedankte sich für das Wechselgeld und fuhr weiter. Die Uhr im Armaturenbrett zeigte 2:49. Als sie mitten auf der Bay Bridge waren, sah er Adrienne an und sagte: »Ich erinnere mich haargenau an das Häuschen.«
»Dann beschreiben Sie es«, entgegnete sie.
Duran zuckte die Achseln. »Also, es hatte einen Namen. Alle haben einen, die ganzen alten Cottages in Bethany. Unseres hieß >Beach Haven<.«
»Was noch?«
»Ich erinnere mich an das Geräusch, das die Fliegengittertür machte, wenn sie zufiel, an die Farbe, die vom Dach über der Verandaschaukel abblätterte.« Er hielt inne. »Ich sehe den Garten vor mir — eigentlich kein richtiger Garten. Ich erinnere mich an die Pflanzen: Hortensien, Iris, Sonnenhut. Ich erinnere mich an die Außendusche, daran, dass man durch die Bodenlatten die Erde sehen konnte.«
»Mhm«, sagte sie, unwillkürlich beeindruckt. »Und wem hat das Cottage gehört?«
Sie durchquerten Kent Island mit seinen Souvenirläden und Imbissständen. Es war alles sehr vertraut. »Meinen Eltern«, antwortete er.
»Den Durans?«
»Ich weiß ja, was Sie denken«, sagte er, »aber — ja. Den Durans. Das war ihr Name.«
»Die Durans waren nicht Ihre Eltern.«
»Diese Durans doch.«
Sie sah frustriert nach draußen.
Irgendwie, obwohl es noch lange vor Sonnenaufgang war und sie unmöglich über die Geschäfte an der Straße hinwegsehen konnten, spürte Duran die Nähe des Ozeans. Vielleicht lag es daran, dass hinter diesen Läden nichts war, kein Hintergrund, keine Silhouetten oder Schatten, keine Lichtpunkte in der Ferne.
»Ich erinnere mich an so vieles«, sagte er, genauso zu sich selbst wie zu Adrienne. »Ich weiß noch, dass wir den Schlüssel unter dem dritten weißen Stein der Randbegrenzung des Fußweges versteckt haben. Ich sehe noch das ramponierte Monopoly-Spiel vor mir, das wir mit zum Strand nahmen. Einmal ist ein Spielstein verloren gegangen, und meine Mutter hat wie verrückt danach gesucht.« Er lächelte. »Sie
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