Gefärhlich tiefe Sehnsucht (German Edition)
Rosalyn die Kupplung kommen, und der Jeep ruckte vorwärts. Ein kurzes Rattern, hoffnungsvoll beobachtete sie die Motorhaube im schwächer werdenden Sonnenlicht, dann erstarben die Geräusche vollends. Rosalyn startete erneut. Schlamm und Wasser, die Spuren der vergangenen langen Regennacht, spritzten zu beiden Seiten auf, bevor die Räder festen Halt fanden. Im selben Moment gab Rosalyn Gas.
Sie nahm den ausgefahrenen Pfad, der vorbei an Weiden führte, auf denen schon immer Longhorn-Rinder grasten. Daher hatte die Ranch ihren Namen. Schweigend fuhr Rosalyn zum alten Wohnhaus, wo alles begonnen hatte. Sie hoffte, wenn Joc die Anfänge der Ranch sah, würde er sie besser verstehen. Wenn sie ihn schon nicht mit Worten überzeugen konnte, dann eben so. Als sie die letzte Anhöhe nahmen, fuhr Rosalyn langsamer. Der Sturm hatte die staubige Straße in eine einzige Schlammpfütze verwandelt, der Wagen durfte nicht stecken bleiben. Noch eine scharfe Biegung, dann schlitterte der Jeep durch eine matschige Kurve.
Schließlich erreichten sie ihr Ziel, die Motorgeräusche klangen ungleichmäßig, bevor sie gänzlich erstarben, als Rosalyn parkte. Nicht weit entfernt stand ein altes Haus, das aus einem einzigen Raum bestand. Eine Weile blieb sie schweigend sitzen, damit Joc sich umsehen konnte. „Das ist das erste Wohnhaus der Oakleys. Meine Vorfahren haben es aus Flusssteinen gebaut.“
Joc schüttelte den Kopf. „Können Sie sich vorstellen, ein Leben in dieser Wildnis zu führen, nur durch vier Wände vor den Naturgewalten geschützt?“ Er sah sie an. „Das waren mutige Menschen“, meinte er bewundernd.
„Von ihnen stamme ich ab, Joc. Von Menschen, die aus dem Nichts ein Heim erschaffen haben, die nicht nur den Naturgewalten trotzten, sondern die auch mit ewigem Zank und Streit fertig wurden, dem sie in den letzten zwei Jahrhunderten ausgesetzt waren.“
Im Licht der untergehenden Sonne schimmerten die Steine rosa und malvenfarben. Sogar der Lattenzaun um den unkrautüberwucherten Garten wirkte eher verwunschen statt baufällig. Rosalyn stieg aus dem Jeep und ging um das Haus herum. Still folgte Joc ihr, als sie ihn zu einem kleinen Friedhof in der Nähe führte.
Seit fast zweihundert Jahren fanden hier, geschützt von turmhoch aufragenden Pappeln, Familienmitglieder die letzte Ruhe. Joc nahm sich Zeit und ging zwischen den Gräbern umher. Zum Schluss blieb er vor den zuletzt errichteten Gräbern stehen. Fünf Stück, dicht nebeneinander. Auf den Grabsteinen las Joc, dass Rosalyns Großvater, ihre Eltern und ihr fünfjähriger Bruder vor zehn Jahren am selben Tag gestorben waren. Auf dem fünften Grabstein hatte ein Steinmetz den Namen der Großmutter eingemeißelt, die Rosalyn vor ungefähr einem Jahr verloren hatte.
„Die Jahrestage“, sagte er leise. „Das sind die Jahrestage, an denen Sie ein Glas Whisky trinken.“
„Ja.“
„Was ist mit ihnen passiert?“
Sie ging neben einer Grabstelle in die Hocke und zupfte das spärliche Unkraut aus, das seit ihrem letzten Besuch vor wenigen Tagen gewachsen war. „Ein Unglück mit einem Kleinflugzeug. Zu der Zeit habe ich für meinen Highschool-Abschluss gelernt.“
„Und Sie?“ Seine Stimme klang ruhig, trotzdem spürte Rosalyn deutlich seine Betroffenheit. Und das überraschte sie. „Waren Sie auch an Bord?“
„Nein. An diesem Tag war ich krank. Nanna blieb mit mir zu Hause. Sonst …“, sie zuckte die Schultern, „… stünden wir heute nicht hier. Die Ranch wäre seit Langem verkauft.“
„Du liebe Zeit, Rosie. Das tut mir so leid. Und ich dachte immer, meine Jugend wäre schlimm gewesen.“
Sie blickte zu ihm hoch. „Eines müssen Sie verstehen, Joc. Als meine Familie starb, habe ich einen wichtigen Teil meines Lebens verloren. Alles, was mir blieb, um die Lücke zu füllen, waren diese Ranch und meine Großmutter. Mir war klar, dass ich entweder aufgeben oder weitermachen konnte.“
„Sie haben weitergemacht.“
Nickend machte sie eine weit ausholende Geste. „Sehen Sie das alles um mich herum? Das ist mein Vermächtnis. Ich bin dafür verantwortlich. Es gehört zu mir. Die Ranch ist Teil meines Lebens. Ich habe meiner Großmutter auf dem Sterbebett versprochen, dass ich alles in meiner Macht Stehende tue, um dieses Erbe zu schützen.“
Langsam stand sie auf und wischte sich Gras und Schmutz von den Händen. „Sie wollen mein Land, Joc. Aber ich bin mit diesem Land verbunden. Sie können mich nicht davon trennen, meine Wurzeln sind
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