Gefahrenzone (German Edition)
gar nicht so sehen würde.
»Ich verstehe Ihre Besorgnis über Ihre gegenwärtige Situation, aber ich habe jetzt nicht die Zeit, Sie zu beschwichtigen.«
Walentin Kowalenko kam es allmählich so vor, als ob er mit dem Computer selbst sprechen würde. Die Antworten waren steif, hölzern und logisch.
Seine Muttersprache ist das Englische, dachte Kowalenko. Dann war er sich dessen jedoch nicht mehr so sicher. Obwohl Walentin fließend englisch sprach, konnte er wohl doch nicht beurteilen, ob einer Muttersprachler war. Wenn er ihn sprechen hören würde, könnte er es vielleicht einigermaßen sicher feststellen.
Für den Moment einigte er sich mit sich selbst darauf, dass sein Herr und Meister die englische Sprache ziemlich gut beherrschte.
»Wenn Sie jemand sind, der mittels Computer Spionage betreibt, was ist dann meine Rolle?«, fragte Kowalenko.
Die Antwort kam prompt. »Personaleinsätze vor Ort. Ihre Spezialität.«
»Der Mann, der mich vom Gefängnis abgeholt hat, meinte, Sie seien überall. Allwissend und allsehend.«
»Ist das eine Frage?«
»Und wenn ich mich weigere, irgendwelche Anordnungen auszuführen?«
»Lassen Sie Ihre Fantasie spielen.«
Kowalenko runzelte die Stirn. Er war sich nicht sicher, ob Center einen Anflug von Humor zeigte, oder ob es sich hier um eine nackte Drohung handelte. Er hatte für diesen »jemand« ja bereits zu arbeiten begonnen, indem er hierhergekommen war, diese Wohnung bezogen hatte und jeden Tag den Computer überprüfte, ob eine neue Nachricht da war. Er war eindeutig nicht in der Position, über seine gegenwärtige Lage zu diskutieren.
»Wie lauten meine Anweisungen?«, tippte er deswegen ein.
Centers Antwort führte Walentin nach Prag.
Von den Auswirkungen seiner Bronchitis, der Ringelflechte und des Gefängnisessens, das hauptsächlich aus Gerstensuppe und schimmligem Brot bestand, hatte er sich immer noch nicht vollständig erholt. Vor seiner Zeit in der Matrosskaja Tischina war er jedoch gesund und fit wie ein Turnschuh gewesen, und er verfügte immer noch über die nötige Disziplin, um schneller wieder auf den Damm zu kommen als die meisten Menschen.
Der Kraftraum im Blue Orange war dabei sehr hilfreich gewesen. Er hatte in den letzten drei Tagen stundenlang dort trainiert. Dies hatte ihm zusammen mit seinen frühmorgendlichen Dauerläufen neue Energie und Kraft verschafft.
Jetzt zog er seine Joggingmontur an, einen schwarzen Sportanzug, den auf einer Seite ein einzelner dünner grauer Streifen zierte. Dann stülpte er sich eine Strickmütze über seine dunkelblonden Haare. Er steckte ein schwarzklingiges Klappmesser, ein Dietrichset und einen faustgroßen Filzbeutel in die Jackentasche und machte den Reißverschluss zu.
Danach zog er dunkelgraue Socken und seine Brooks-Laufschuhe an und streifte sich dünne Under-Armour-Handschuhe über, bevor er sein Zimmer verließ.
Augenblicke später trat er vors Hotel und begann im kühlen Nieselregen in Richtung Süden zu joggen.
Den ersten Kilometer rannte er auf dem Gras die Tupolevova-Straße entlang. Dabei sah er in der Dunkelheit um ihn herum keine Seele. Nur ein paar Lieferwagen rumpelten an ihm vorbei.
Er bog nach Westen in die K ř ivoklátská ab und trabte in gemächlichem Tempo weiter. Er merkte, dass sein Herz bereits auf den ersten Kilometern stärker schlug, als er es eigentlich gewohnt war. Dies überraschte ihn etwas. In seiner Londoner Zeit war er an den meisten Morgen zehn Kilometer durch den Hyde Park gejoggt und hatte dabei außer in den heißesten Sommermonaten kaum geschwitzt.
Er wusste zwar, dass er nicht mehr so fit wie in Großbritannien war, vermutete jedoch, dass seine angeschlagene Gesundheit nicht an seinem erhöhten Herzschlag schuld war.
Nein, heute Morgen war er nervös, weil er endlich wieder im Einsatz war.
Allerdings hatte Walentin Kowalenko als stellvertretender Resident des russischen Auslandsgeheimdiensts SWR in London gewöhnlich keine solchen Feldeinsätze erledigen müssen. Verdeckte Übergaben, das Überprüfen und Anlegen von toten Briefkästen und der Einbruch in die Wohnungen von Zielpersonen waren Aufgabe von Agenten, die auf der Karriereleiter viel weiter unten standen. Tatsächlich hatte Walentin Kowalenko einen Großteil seiner Aufgaben als Chefspion aus seinem bequemen Büro in der russischen Botschaft heraus oder bei einem Filet Wellington im Hereford-Road-Restaurant erledigt, wenn nicht sogar bei einem Ochsenbäckchen mit Brunnenkresse, Markknochen und
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