Gefahrliches Vermachtnis
aber ich werde vorsichtig sein.“
Sie hatte seine Worte nie vergessen. Es war die einzige Lüge, die er ihr jemals aufgetischt hatte.
„Ich verspreche es dir.“ Er lächelte, um sie zu beruhigen. „Ich verspreche es dir.“
Drei Jahre später, im Frühling 1960, war Dawn eine schlanke, langbeinige Achtzehnjährige, der man die Schönheit, die sie in fünf Jahren für selbstverständlich halten sollte, bereits ansah.
An ihren Überzeugungen hatte sich nichts geändert, aber ihre Prioritäten hatten sich verschoben. Während Elvis „Are You Lonesome Tonight?“ sang und Fred Feuerstein im Fernsehen erschien, langweilten sich Dawn und die anderen Oberschülerinnen der katholischen Mädchenschule in der Charles Avenue.
Die Schule war nie ihr liebster Platz gewesen. Tatsachen langweilten sie, und ihre Gedanken drängten in eine Richtung, die die Oberschwestern missbilligten. Dennoch schaffte Dawn ohne besondere Anstrengungen alle nötigen Abschlüsse, um am exzellenten Frauencollege im Nordosten angenommen zu werden. Dort studierten alle höheren Töchter aus New Orleans.
Dawn unterschied sich nicht von den Millionen anderer Teenager, die sich nach außen frech und herausfordernd gaben, sich in ihrem tiefsten Inneren jedoch verletzlich und einsam fühlten. Sie sah ihren Onkel und ihre Großmutter zwar immer noch regelmäßig, aber die meiste freie Zeit verbrachte sie mit ihren Freundinnen. Beinahe wie durch Zufall hatte sie bemerkt, dass sich ihre Altersgenossen zu ihr hingezogen fühlten. Dawn genoss es, so gefragt zu sein, vor allem bei den Jungen.
Die Freude über ihre Beliebtheit hatte sie auch ihrer Mutter wieder nähergebracht. Cappy schien nur darauf gewartet zu haben, dass sich ihre merkwürdige Tochter-Raupe endlich in einen gesellschaftsfähigen Schmetterling verwandelte. Cappy verbrachte wieder mehr Zeit mit ihrer Tochter und ließ sie von ihrem bemerkenswerten Wissen über Kleidung, Stil und gesellschaftliches Benehmen profitieren. Sie kümmerte sich sogar um Dawns neue modische Frisur.
Ferris begann, seine Tochter zu ausgesuchten gesellschaftlichen Ereignissen zu begleiten. Da er sehr aktiv in einigen Karnevalsvereinen war, sorgte er dafür, dass Dawn die besten Voraussetzungen für ihr gesellschaftliches Debüt hatte. Sie war ein Gewinn für ihn, was eine Zeit lang seinen Interessen entgegenkam.
Doch das Jahr hatte auch seine ernsten Seiten. Im Februar besetzten schwarze Studenten in Greensboro ein Restaurant und verlangten, bedient zu werden. In Little Rock explodierte vor dem Haus von Studenten, die es gewagt hatten, sich in eine bislang rein weiße Universität einzuschreiben, eine Bombe. Und in Atlanta wurde Martin Luther King wegen der Anstiftung zum Busboykott in Untersuchungshaft gebracht.
Dawn verfolgte diese Ereignisse sehr genau. Bei den seltenen Gelegenheiten, mit ihrem Onkel alleine zu sein, sprachen sie darüber. Sie hörte sich auch die extrem unterschiedliche Meinung ihres Vaters und seiner Verbündeter an. Im September besetzte eine kleine Gruppe schwarzer und weißer Collegestudenten einige Geschäfte in der Canal Street, um zu erreichen, dass man sie künftig an Imbisstheken gleichberechtigt behandelte.
Dawn freute sich über ihre Erfolge. Doch da war noch mehr im Gange. Das Jahr schritt voran. Die Integration an Schulen war in aller Munde – vor allem bei Ferris und seinesgleichen. Seine politischen Ambitionen waren von derlei Entwicklungen betroffen.
Im Oktober, als die Sommerhitze endlich etwas zurückgegangen war und die Stadt nicht mehr nach Luft japste, kam Hugh zu Besuch.
Dawn war gerade von einem Einkaufsbummel mit ihrer Mutter zurückgekehrt, und sie begleitete Cappy nirgendwohin, ohne so gut wie möglich auszusehen. Sie trug einen unerträglich kratzigen, aber sehr modischen Mohairpulli und einen Rock im gleichen Goldton.
Dawn ließ sich von ihrem Onkel in die starken Arme schließen und stellte fest, dass sie ihn sehr vermisst hatte.
„Da sitzt jemand in meinem Auto, den ich dir vorstellen möchte“, verkündete Hugh lächelnd.
„Toll! Fahren wir irgendwohin?“
„Was hast du mit dem Rest des Tages vor?“
Dawn hatte noch keine Pläne, sondern wartete nur auf einenAnruf von Alan Murphy, Oberschüler einer Jesuitenschule, der das gesellschaftliche Potenzial hatte, ihr Freund zu werden. Aber Alan würde ohne sie auskommen müssen.
Sie hinterließ bei Sarah Jane, dem Hausmädchen, eine Nachricht und folgte ihrem Onkel zum Wagen. Ihr Onkel hielt ihr die
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