Gefahrliches Vermachtnis
jemanden, der es getan hat?“
Nicky schwieg ziemlich lange, während sie gegen Erinnerungen ankämpfte, die sie nicht vergessen konnte; sie waren einfach zu schrecklich. „Der Ort, an dem ich aufwuchs, war voller hellhäutiger Frauen – hellhäutiger als ich – und alle hatten dunkle Vorfahren. Ich dachte immer, meine Mutter sei eine von ihnen. Jemand hat mir erzählt, sie sei bei meiner Geburt gestorben.“
„Aber es ist möglich, dass sie eine Weiße war?“
„Nein! Aurore Gerritsen war nicht meine Mutter! Da stimmt was nicht.“
„Dann bleib hier und finde heraus, was es ist.“
Sie erhob sich und ging zum Fenster. Dawn hatte recht. Nicky konnte das Meer sehen. Es war aufgewühlt, das Wasser war dunkelgrün. Sie dachte an Phillips Geschichte über die Kinder, die vom stürmischen Meer eingeschlossen waren, andie Frau, die geschrien hatte, als ihr Liebhaber die dünne Leine kappte, die sie mit ihrer Zukunft verband.
Nicky hielt sich die Ohren zu. „Ich hasse diesen Ort! Wie kannst du nur daran denken, zu bleiben? Wir waren gestern unerwünscht und jetzt werden wir noch unerwünschter sein. Sobald Ferris Gerritsen herausfindet, was Phillip zu sagen hat, wird er hinter uns her sein.“
„Ich freue mich schon darauf.“
Sie starrte ihn an. „Glaubst du, dass dir in diesem Staat beim Kampf gegen den allmächtigen Senator irgendjemand zu Hilfe kommt?“
„Ich habe die erste Hälfte meines Lebens damit verbracht, davor davonzulaufen, wer ich bin. In der zweiten Hälfte habe ich meinen Frieden mit mir geschlossen. Und jetzt möchte ich den Rest meiner Zeit damit verbringen, zu dem zu stehen, was ich bin. Wirst du dabei mitmachen?“
„Du bist nicht mein Gewissen, Jake. Wenn ich bleibe, dann nur, weil es richtig ist für mich! “
„Ich weiß. Ich bitte dich nur, dir ein wenig Zeit zu nehmen, um alles sacken zu lassen.“
„Dann lass mich bitte einen Augenblick alleine, bevor ich den anderen gegenübertreten muss.“
Er verließ leise den Raum. Es dauerte noch eine Weile, bis Nicky ruhig genug war, um ihre Umgebung näher zu betrachten. Das Zimmer war luftig und weiblich und im zwanglosen Strandhaus-Stil eingerichtet; sie fühlte sich sehr wohl hier. Aurore Gerritsen schien nicht länger eine Fremde zu sein. Sie hatte ihre persönliche Note überall hinterlassen. Nicky stand im Schlafzimmer der Frau, die aus dem Grab heraus für sich beanspruchte, ihre Mutter zu sein, und sie verfluchte Aurore dafür, jemals geboren worden zu sein.
Nicky schaute weder nach links noch nach rechts. Sie streckte ihre Hand aus, als Spencer auf sie zukam. Seine Hand zitterte ein wenig, als er eine kleine Schmuckschatulle auf ihrer Handfläche platzierte. „Aurore hoffte, dass dies auf irgendeine Weiseeine große Ungerechtigkeit erklären kann.“
Nicky schwieg und auch sonst sagte niemand einen Ton.
Ben und Phillip tauschten Blicke. Phillip hatte Ben die Wahrheit über Nicky und Aurore gesagt, und Ben wusste, dass auch Dawn die Wahrheit kannte. Der starren Haltung nach zu urteilen, wusste auch Nicky Bescheid.
Nickys Finger schlossen sich um die Schmuckschatulle. Sie erhob sich und verließ wortlos den Raum. Jake folgte ihr.
„Nichts, was Aurore in diese Schatulle oder sonst wohin getan hat, könnte die Situation einfacher machen.“ Phillip erhob sich von seinem Platz neben Ben und verließ ebenfalls den Raum.
„Wir sind fertig für heute“, erklärte Spencer dem Rest der Gesellschaft. „Wir sehen uns morgen um die gleiche Zeit.“
Seit er aufgewacht war, wollte Ben mit Dawn sprechen. Und noch mehr, seit Phillip ihm erzählt hatte, was am Morgen zwischen ihnen vorgefallen war. Aber Dawn entzog sich ihm. Nun stand sie zwischen ihren Eltern und Spencer.
Cappy packte Ferris am Arm und steuerte zur Tür. Ben war überrascht, dass der Senator nicht ausrastete, aber vermutlich wartete er nur auf den richtigen Zeitpunkt. Cappy blickte sich nach Dawn um, die den Blick ihrer Mutter nicht bemerkte, weil sie damit beschäftigt war, mit Spencer zu tuscheln. Der alte Mann zeigte nach draußen. Sie gingen gemeinsam und in ihre Unterhaltung vertieft zum Fenster.
Ben wusste, dass es besser war, sie nicht unter Druck zu setzen. Sie würden miteinander reden, wenn sie bereit dazu war – so viel hatte sie ihm immerhin schon klargemacht. Dawn entschied, was auch immer zwischen ihnen geschehen würde. Er entschied sich derweil weiterzulesen. Später, wenn sie miteinander sprechen würden, gab es sicher noch genug zu
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