Gefahrliches Vermachtnis
Aurore hatte ihr zwar ihre Unterstützung angeboten, aber das war nicht genug, da war sie sich sicher. Cappy hatte nicht nach ihr gefragt.
Aurore kannte den eigentlich berechneten Geburtstermin. Sie parkte in der Nähe von Saint Charles und marschierte auf direktem Wege zur Mütterstation des Krankenhauses. Sie ging in Cappys Zimmer, obwohl eine strenge Chefkrankenschwester sie auf die üblichen Besuchszeiten hinwies. Cappy schlief. Sie war so weiß wie die Krankenhauslaken. Aurore setzte sich an ihr Bett und wandte sich an die Krankenschwester und den Pfleger, die ihr ins Zimmer gefolgt waren.
„Ich werde hierbleiben und warten, bis sie aufwacht“, erklärte Aurore der Schwester. „Nur für den Fall, dass Sie vorhaben, Theater zu machen, sollten Sie wissen, dass ich zur Krankenhausdirektion gehöre.“
Das Zimmer leerte sich. Aurore war mit Cappy alleine. Sie griff nach ihrer Hand. Cappy öffnete die Augen. Sie starrte durch Aurore hindurch.
„Ich habe es gerade erst gehört“, sagte sie. „Ich wusste esnicht, Cappy, sonst wäre ich bei dir geblieben.“
Cappy drehte den Kopf weg. Aurore fühlte sich einen Augenblick lang am Boden zerstört. Um ihres Enkels willen hatte sie versucht, eine Verbindung zu Cappy zu bekommen, und jetzt war das Kind auf der Welt.
„Es ging alles so schnell …“ Cappys Stimme versagte.
„So muss es gewesen sein.“ Aurore drückte ihr die Hand.
„Ich kann mich an nichts erinnern. Mr Gerritsen brachte mich ins Auto und dann war ich auf einmal hier und … bin eingeschlafen.“
Aurore spürte eine große Erleichterung. „Ich wünschte, ich wäre da gewesen, um dir zu helfen.“
„Was ist es?“
„Ich war so in Sorge, dass ich vergessen habe zu fragen.“ Aurore hob den Kopf und sah die Oberschwester – völlig verändert – mit einem kleinen Bündel in der Tür stehen. Aurore drückte Cappys Hand fester. „Ich glaube, wir werden es gleich feststellen.“
Die Schwester kam ans Bett und legte das Bündel neben Cappy. Cappy betrachtete das kleine Gesicht. „Mädchen oder Junge?“, fragte sie verschlafen.
„Mädchen. Fünfeinhalb Pfund schwer. Ich kann sie nur ein paar Minuten hierlassen.“ Cappy berührte den Kopf ihrer Tochter. Aurore beugte sich über das Bett. „Sie ist wunderschön! Oh Cappy, sie ist so wunderschön!“
„Ja?“ Cappy gähnte. „Sie sieht aus wie ein Baby.“
„Sie ist perfekt. Eine Tochter. Eine Enkelin.“
„Ich glaube, ich wollte eine Tochter. Ferris wollte einen Sohn.“
„Das ist jetzt egal. Er wird sie lieben.“
„Ich hab einen Namen für sie.“
„Schon? Aber du hast sie doch eben erst gesehen.“ Das Baby öffnete die Augen und runzelte das winzige Gesicht, bevor es zu weinen begann.
Aurore sehnte sich danach, das Baby in den Arm zu nehmen,aber sie kannte ihre Pflichten. „Kannst du dich ein wenig aufsetzen? Dann gebe ich sie dir.“
„Nein. Nimm du sie.“
Aurore hob ihre neue Enkelin hoch und drückte sie an sich. „Wie willst du sie nennen?“
„Ich wollte sie eigentlich nach dir nennen, aber Aurore ist ein altmodischer Name. Zu altmodisch.“
Aurore wusste nicht, ob sie dankbar sein oder sich für den Namen entschuldigen sollte. Doch dann lachte sie. „Also, was hast du dir stattdessen überlegt?“
„Dawn. Aurore bedeutet doch Dämmerung, oder? Und Dawn auch. Auf die Art wird sie so heißen wie du und trotzdem einen eigenen Namen haben.“
„Dawn. Das ist wundervoll. Es ist perfekt. Danke, Liebes. Ich könnte mich nicht geehrter fühlen.“
„Ich will jetzt noch ein bisschen schlafen.“ Cappy schloss die Augen. „Eines Tages wird Dawn Karnevalskönigin sein.“
Aurore stand neben dem Bett und wiegte die zukünftige Karnevalskönigin in ihren Armen, bis die Schwester kam, um sie abzuholen.
16. KAPITEL
N icky hatte die muslimischen Frauen hinter ihren Schleiern beobachtet und sich gefragt, wie die Welt wohl aus ihrer Perspektive aussah. Nun wusste sie es aus erster Hand. Es war zwar weniger zu sehen, aber dafür deutlicher.
Sie zog ihren Schleier dichter zusammen und suchte nach der Gasse, die zu Hughs Apartment und aus der Medina hinausführte.
Heute war sie eine Muslima auf dem Nachhauseweg vom Souk. Aus ihrem Korb ragten Brotlaibe. Djellaba und Schleier gehörten Rashida, die ganz in der Nähe wohnte.
Nicky besuchte Hugh selten zu Hause. Sie trafen sich an anderen Orten und zu Zeiten, wo man ihm vermutlich nicht folgte. Manchmal trafen sie sich im Palm Court vor aller Augen – es wäre
Weitere Kostenlose Bücher