Gefahrliches Vermachtnis
Abstand wie möglich. Die Jahre, als Henry in Baton Rouge gewohnt hatte, waren die besten Jahre ihrer Ehe gewesen. Sie hatte aufgehört, Schritten in der Eingangshalle zu lauschen. Es war ihr sogar gelungen, etwas Frieden mit ihrer Vergangenheit zu schließen. Aber dann war Henry in Ungnade gefallen und zurückgekehrt. Zuerst sah es so aus, als sei er in der Lage, aus seinen Fehlern zu lernen. Doch nach einer Weile verwandelte er sich in eine Angst einflößende Version des Mannes, den sie einmal geheiratet hatte. Spencer St. Amant, der glaubte, dass Henry zu einem Mord fähig war, hatte sie erst vor Kurzem um erhöhte Vorsicht gebeten.
Aber Aurore konnte Henry nicht verlassen. In Gesellschaft hatten sie immer peinlich genau darauf geachtet, die Illusion einer perfekten Ehe aufrechtzuerhalten. Sie war entschlossen, auch künftig so zu verfahren. Wenn sie ihren Söhnen schon nicht das beste Familienleben bieten konnte, so wollte sie doch sichergehen, dass man sie respektierte. Aurore wollte kein Mitleid und war zu stolz, ihre Ehe als das zu entlarven, was sie war.
Nun musste auch noch ein Enkelkind bedacht werden. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Ferris’ Plan so schnell aufging. Dennoch hatte sie im Laufe der Monate begonnen, sich auf das Baby zu freuen, trotz ihrer Abneigung gegen Cappy. Ein Baby bedeutete neues Leben. Neue Möglichkeiten. Sie schuldete dieser neuen Generation alles, was sie zu geben imstande war.
Aurore hatte noch zu arbeiten, aber sie schaffte es nicht, sich von dem Anblick des Flusses loszureißen.
„Warum starrst du aus dem Fenster, Rory? Was siehst du da?“
Aurore war daran gewöhnt, dass Henry wie aus dem Nichts in ihrem Büro auftauchte. „Ich sehe eine Menge Geld und viel Arbeit, die noch erledigt werden muss.“
„Und deshalb arbeitest du jeden Tag bis tief in die Nacht?“
„Jemand muss es ja tun.“
„Arme Rory! Wäre es dir lieber, wenn ich mich gemeinsam mit dir abrackern würde?“
Sie war zu müde, um ihm aus dem Weg zu gehen. „Wenn du mit deiner Rückkehr in die Politik glücklich bist, dann freue ich mich für dich.“
„Aber du unterstützt mich nicht.“ Er kam näher. Sein Kragen stand offen und sein Hemd hatte einen Fleck auf der Tasche. Aurore war vierundfünfzig. Ihr dickes braunes Haar, ein modischer Bob, war inzwischen zur Hälfte grau geworden. Im Gegensatz zu ihr alterte Henry auf eine unschöne Art. Seine sommersprossige Haut hatte den gelblichen Ton eines Mannes angenommen, der zu viel Alkohol trank. Und seine Züge wirkten von der Sonne verwittert.
„Ist meine Unterstützung wichtig?“, fragte sie. „Du machst doch sowieso, was du willst. Sei froh, dass ich niemandem verrate, dass deine Kommissionen den ehrlichen Menschen von Louisiana das Geld aus der Tasche ziehen.“
„Wir führen doch wirklich eine perfekte Ehe, findest du nicht? Wir halten uns gegenseitig in Schach. Du sagst niemandem, was du weißt, und ich tu dasselbe.“
Sein Atem roch nach Whiskey. Wenn er nüchtern war, behelligte er sie nur, wenn er sich einen Vorteil daraus versprach. Doch wenn er getrunken hatte, suchte er Streit.
„Auch ich habe Freunde in der Regierung“, drohte sie. „Sylvain Winslow hört auf mich, obwohl er dir schon seit Jahren nicht mehr glaubt. Er mag ein alter Mann sein, aber wenn er wüsste, dass du mich schlägst, wären deine Tage in dieser Stadt gezählt.“
„Falls er es wüsste. Aber wie sollte er?“
„Eines Tages reicht es mir.“
„Drohst du mir?“
„Geh einfach nach Hause und lass mich hier zu Ende arbeiten!“
Er packte sie an der Schulter. Seine Finger drückten sich durch ihren Blazer ins Fleisch, aber sie gab keinen Mucks vonsich. „Ich könnte dich vernichten“, sagte er. „Ganz leicht.“
Sie entwand sich seinem Griff. „Wenn du mich vernichtest, schadest du dir selbst. Wir erwarten einen Enkel, Henry. Wir haben zwei Söhne. Denk an sie.“
„Wir haben einen Enkel.“
Es dauerte einen Augenblick, bis sie verstand.
„Cappy?“
„Ist Mutter.“
„Es sollte doch erst in einem Monat kommen! Sie hatte noch keine Wehen, als ich heute Morgen das Haus verließ.“
„Die Zeit und die Gezeiten, Rory, und nun ein Baby. Manche Dinge können nicht warten, nicht einmal auf dich.“
Sie stieß ihn beiseite und rannte aus dem Büro. Niemand hatte angerufen, um ihr zu sagen, dass Cappy in den Wehen lag. Sie bekam Angst. Cappy war während der Schwangerschaft so unglücklich gewesen und sie hatte sich so unwohl gefüllt.
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