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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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kleinen Wassern entlangfuhren, durch karge Wälder, an kleinen Kirchen und öden Höfen vorbei, auf die noch nicht sichtbare Flammensäule zu, die uns weiter im Norden erwartete.
    »In gewisser Weise bist du auf dem Weg nach Hause, oder?« sagte ich.
    »Nach Mongstad, meinst du?«
    »Ja?«
    »Mein Mann kam daher«, sagte sie kurz, mit der Betonung auf kam. Dann legte sie eine Hand auf meinen Arm. »Jetzt müssen wir bald abbiegen. Die nächste Kreuzung – nach rechts.«
    Ich nickte und schaltete herunter. Ein schmaler Weg führte zwischen verwachsenen Kiefern hindurch. Nach einigen Kilometern wurde der Asphalt zu Schotter, und die Abstände zwischen den Höfen wurden größer.
    »Wir müssen bis fast ans Wasser«, sagte sie. »Wir können das Haus schon von weitem sehen. Es ist groß und weiß – und daneben ein alter, roter Schuppen.«
    Dann waren wir da. Die beiden Häuser lagen auf einem kleinen Plateau zum Fensfjord hin, der still und dunkel dalag und an einen gigantischen Ölteppich erinnerte. Ein paar kahle Inseln lagen wie verlassene Sternwarten dort draußen im dunklen Wasser, und auf der anderen Seite des Fjords erhob sich steil und abweisend das Fjellmassiv von Masfjorden zum Himmel.
    Wir parkten den Wagen am Tor, öffneten es und folgten dem Hofweg zu den Häusern.
    Die Landschaft um uns herum hatte merkwürdig verblaßte Farben, als hätten der Sommer und der Herbst alle Farbstoffe aus ihr gesogen und nur die blassen Reste wären für den Dezember übriggeblieben. Der Acker, an dem wir vorbeigingen, war wintergelb, das Gras hatte einen matten gelbbraunen Ton, die Bäume im Wäldchen hinter den Häusern waren schwarz und blattlos, und selbst der Himmel, der sich über uns wölbte, hatte einen lähmenden Kern von Weiß im Blau. Es war wie durch ein Aquarell zu gehen, bei dem jemand zum Mischen der Farben allzuviel Wasser verwendet hatte.
    Drüben am Wäldchen ritt langsam ein Reiter auf einem braunschwarzen Pferd vorbei, das Gesicht uns zugewandt, mit langen, flatternden Haaren, in einem rotkarierten Hemd und Jeans. Am einen Ende des Ackers hackten vier, fünf junge Leute den Boden, mit einer der Lust entsprechenden Energie. Aus dem Schuppen heraus muhte eine Kuh einen langgedehnten Protest gegen die Internierung, und durch eines der Fenster des Hauptgebäudes tönte das Klappern einer Schreibmaschine zu uns heraus. Ein paar Spatzen erprobten vorsichtig ihre Stimmen für die Weihnachtschoräle der Saison, ohne recht zu überzeugen, und eine wohlgenährte Katze strich geschmeidig um die eine Hausecke, sich von den unbekannten Eindringlingen entfernend.
    Wir gingen auf die Veranda vor dem Haus und klopften an. Als niemand reagierte, öffneten wir die Tür und gingen hinein. Ein Schild wies uns den Weg zum Büro. Hinter der grünen Tür hörten wir die Schreibmaschine weitere Löcher in die Luft hacken. Wir klopften an, eine Stimme bat uns, hereinzukommen, und wir folgten der Aufforderung – Laila Mongstad zuerst, ich hinterher.
    Die Frau, die sich von der Schreibmaschine zur Tür umwandte, war Mitte Dreißig, strahlend und streng zugleich, mit einem kräftigen, gedrungenen Körper, das helle Haar straff hochgekämmt und in einem Dutt hoch oben am Hinterkopf befestigt, in Bluse, Pulli und Cordhose, ohne Schminke und Schmuck und mit einem Dialekt, der sie zu einem Teil der Natur um uns herum machte. Sie legte die Arme über Kreuz, auf eine Weise, die Autorität verriet, lächelte uns aber zugleich offen und warmherzig an.
    »Ja bitte?« fragte sie.
    »Ich bin Laila Mongstad. Ich habe eine Verabredung, um eine Reportage von hier zu machen.«
    »Ja, das stimmt. Prima. Willkommen bei uns. Ich bin Jorunn Tveit.« Die Frau stand auf und gab Laila Mongstad die Hand.
    Dann wandte sie sich an mich, mit einem fragenden Blick.
    »Veum. Ich hatte gehofft, ein paar Worte mit einer ihrer Patientinnen sprechen zu können. Ruth Solheim.«
    Ihr Gesichtsausdruck wurde zuerst verwirrt. Dann verdunkelte er sich. Sie gab mir die Hand und sagte leise. »Jorunn Tveit.« Danach ging sie zurück an ihren Platz an der Schreibmaschine, wie um in dem kleinen Raum eine offizielle Position einzunehmen, der ansonsten nicht mehr als ein paar Stühle enthielt, einen kleinen Küchentisch, einen braunen Archivschrank und ein Telefon mit zwei Linien. »Und aus welchem Grund wolltest du mit Ruth sprechen?«
    Ich sagte vorsichtig: »Ihr Vater ist gerade gestorben, wie du sicher weißt.«
    »Nein, das wußte ich nicht.«
    »Na ja. Ich komme aus

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