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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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daß was passierte …«
    »Unter anderem mit mir.«
    »Ja? – Ja, genau«, sagte sie mit einem neuen Glanz in den Augen, als ob sie erst jetzt sich gerade daran erinnerte. »Aber dann – traf ich Jakob wieder. Ernsthaft. – Da war er auch erwachsen geworden. Er hatte mich wieder eingeholt. Als wäre ich nur ein Stück vorausgegangen. – Und danach gab es keinen anderen mehr.«
    »Nein. Das habe ich gemerkt.«
    »Was?« sagte sie abwesend, als dächte sie an etwas ganz anderes. »Wann?«
    »Ich kam von See zurück in dem Jahr, es muß 1964 gewesen sein. Weißt du nicht mehr – ich traf dich im Keller bei Beyer. Wo sie damals ihre Auslandsabteilung hatten. – Wir redeten miteinander.«
    Mit einem plötzlichen Zug von Wehmut im Gesicht sah sie mich an, während sie leicht den Kopf schüttelte. »Nein – ich erinnere mich nicht«, sagte sie leise.
    »Nicht, aha.« Ich trank einen Schluck. Dann sagte ich, und meine Lippen waren noch feucht vom Wein: »Die Liebe ist eine einsame Sache. Die Liebe ist etwas, wovon kein anderer weiß.«
    »Wer hat das gesagt?«
    Ich sah sie an und lächelte schief. »Ein verkannter Autor in einem verkannten Buch. – Es fiel mir nur gerade ein.«
    Wir saßen jeder in seiner Pause, irgendwie, ohne gemeinsamen Grund. Schließlich sagte ich: »Was ist passiert – mit Jakob und dir?«
    Sie setzte sich gerade hin, bekam wieder einen sachlichen Ausdruck. »Es ging wohl mit uns wie mit den meisten Ehepaaren. Der Sturm legt sich, aber wenn du Glück hast, dann hast du ein paar Jahre mit sanfter Brise in den Segeln und kleinen Lagunen von ergreifenden Wiederholungen.«
    »Aber trotzdem gingst du zu anderen?«
    »Reden wir nicht mehr davon. Aber ich hatte guten Grund. Er hatte es selbst auch getan. Er hatte eine – eine andere, die ganze Zeit. Er glaubte, ich wüßte es nicht, aber ich … Gro, oder – hieß sie nicht so?«
    Ich zuckte demonstrativ mit den Schultern, wie um zu unterstreichen, daß ich davon gar nichts wußte. »Aber ausgerechnet mit dem Johnny?«
    Sie sah mich an. »Warum nicht? Es war nicht wesentlich, mit wem, sondern daß. – Vielleicht wußte ich, daß das gerade Jakob mehr verletzen würde als alles andere. Vielleicht – ergab es sich einfach so.«
    »Und dann – Berge Brevik.«
    »Reden wir nicht davon, hab’ ich gesagt!«
    Eine neue Pause. Die Gläser waren leer. Sie schenkte neu ein. Eine niedrige, rote Sonne stieg über den Landschaften in uns auf, und sie ging hinaus, um eine neue Flasche zu holen.
    Als sie zurückkam, sagte sie: »Alles ist so – so lange her, Varg. Ich denke an – meine Eltern. Natürlich hab’ ich sie geliebt, alle, Mutter, Vater, meine Geschwister. Das Milieu, in dem wir aufwuchsen, mit einem Fuß im Bethaus und einem – anderswo … Da war Sicherheit. Ich kann heute noch alle Lieder auswendig. Wort für Wort. Abends, wenn ich an einem Versammlungshaus vorbeikomme und höre, daß die alten Melodien gespielt werden, dann kann ich nicht anders, als die Worte mitzusingen, im stillen. Aber ich gehe nie hinein. Das ist eine abgeschlossene Phase, und sie bekommen mich niemals zurück.«
    »Nicht – nicht einmal ein Mann wie Berge Brevik?«
    »Nein! Die Staatskirche steht mir vielleicht – noch ferner. – Ich bin trotz allem in einer Welt aufgewachsen, in der die Religion auf eine Weise alles durchsetzt hat, vom Aufwachen am Morgen, bis zum Einschlafen abends. Ein Dasein eingerahmt von Gebeten. Morgengebet und Abendgebet, vor und nach allen Mahlzeiten, zusammen bei Andachten und Versammlungen. – Nicht, wie in der Staatskirche, etwas, das für die meisten einmal im Jahr vorkommt, am Weihnachtsabend und ansonsten bei Taufen und Begräbnissen, Hochzeiten und Konfirmationen. – Ich habe das Christentum wirklich gelebt, Varg, in diesen Jahren. Aber ich bin ihm entwachsen, und das schmerzt wohl meine Familie mehr als irgend etwas anderes, das ich getan habe. – Aber trotzdem nicht so sehr, daß wir nicht immer willkommen gewesen wären. Vater hat uns nie den Rücken gekehrt, aber er hatte immer etwas Trauriges, wenn er uns betrachtete … etwas, was immer noch in mir zerrt und weh tut, jetzt, wo ich weiß, daß er nicht mehr – ist.«
    Ich klammerte mich an den Stiel des Glases, ergriffen von einem plötzlichen Schwindelgefühl. »Ich habe dich immer um diese Umgebung deiner Kindheit beneidet, Rebecca. Zu einer Gemeinschaft zu gehören, egal, zu welcher. Ich habe das gleiche in Familien von Kommunisten gesehen, die in den 50er Jahren

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