Gefangen im Palazzo der Leidenschaft
wusste, dass er bei Lilys sichtlichem Unbehagen eigentlich keine Freude empfinden sollte, aber nach dem unbefriedigenden Schlaf in dieser Nacht war er an diesem Morgen weniger nachsichtig mit ihr.
Es hatte schon damit begonnen, als er am späten Abend wieder nach unten gegangen war und festgestellt hatte, dass sie ihn beim Wort genommen und sich bereits hingelegt hatte. Und er hatte sich gefragt, ob sie vielleicht schon an ihrem nächsten Fluchtplan bastelte – hoffentlich diesmal, ohne Alarm auszulösen –, obwohl er ihr angeboten hatte, sie an diesem Morgen in ein Hotel zu bringen.
Und diese Gedanken hatten ihn nicht einschlafen lassen, als er später in seinem Bett lag und ständig zur Alarmanlage blickte, ob sie wohl blinken würde. Auch als er einmal kurz in einen unruhigen Schlaf gefallen war, hatte er offenbar immer noch mit einem Ohr gelauscht, ob jemand durch das Gebäude schlich.
Als er dann eben nach unten gegangen war und gesehen hatte, dass sie ruhig am Tisch saß, sich ihr Frühstück schmecken ließ und obendrein ausgeruht wirkte, hatte ihn noch mehr verwirrt, dass er selbst kaum geschlafen hatte. „Wie du willst“, meinte er ablehnend. „Der Glaser müsste bald hier sein. In der Zwischenzeit muss ich ein paar Anrufe erledigen.“
„Wegen Felix und Claudia?“, wollte sie wissen.
Dmitri presste die Lippen zusammen. „Zufällig, ja. Ich nehme an, du hast immer noch nichts von deinem Bruder gehört?“
„Nein.“ Wenn sie ehrlich war, dann war sie inzwischen mehr als nur ein bisschen verärgert über Felix. Nicht nur, dass er verschwunden war, er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, nachzufragen, ob sie seine Nachricht noch rechtzeitig erhalten hatte, um ihren Flug nach Rom canceln zu können. Dass heute Heiligabend war, wie sie am Morgen festgestellt hatte, konnte ihre Laune auch nicht heben.
„Der Glaser wird nicht lange brauchen, um eine neue Scheibe einzusetzen. Danach habe ich Zeit, dich zu einem Hotel zu fahren – falls dir das passt.“
„Ja, natürlich.“ Lily straffte sich, da Dmitri direkt auf den Punkt kam. Lockere Plauderei war heute wohl nicht angesagt. „Wie es aussieht, habe ich heute keine anderen Pläne.“
„Offenbar nicht.“
„Aber ich könnte mir genauso gut ein Taxi nehmen, denn ich möchte dir keine Umstände machen. Nicht noch mehr“, verbesserte sie sich, als Dmitri spöttisch die Brauen hob.
Sein Lächeln wirkte angespannt. „Es macht mir keine Umstände.“
Lily lächelte schwach. „Am liebsten würdest du mich von hinten sehen, stimmt’s?“
„Richtig.“
Du hast es selbst herausgefordert, dachte Lily wütend. „Kann ich dir irgendwie behilflich sein?“, hakte sie nach.
Kühl sah Dmitri sie an. „Wobei?“
„Ich könnte ein paar Anrufe für dich übernehmen. Obwohl das ja gar nicht geht, weil ich kein Italienisch spreche“, fügte sie gleich bedauernd hinzu. „Aber es muss doch etwas geben, das ich tun kann.“
Nun verzog er den Mund. „Mir fällt nichts ein.“
Na toll. Sie fühlte sich völlig überflüssig. Was sie offenbar auch war.
Es war wohl kaum verwunderlich, dass er sie so schnell wie möglich loswerden wollte, statt sie als Mittel zum Zweck zu nutzen und Kontakt zu Felix herzustellen, wie er ursprünglich gehofft hatte. Denn inzwischen war sie ihm nichts als eine Last. Eine Last, die ihn heute Nacht in eine höchst peinliche Situation mit der Sicherheitsfirma und der Polizei gebracht hatte. Und auch an diesem Morgen machte sie ihm nichts als Scherereien, weil er ihretwegen auf den Glaser warten musste, der ein neues Fenster einsetzen sollte. Da war es kaum verwunderlich, dass er es gar nicht erwarten konnte, sie loszuwerden.
Aber war sie genauso versessen darauf zu gehen?
Eine interessante Frage. Die sie schon in der Nacht nicht hatte beantworten können, als sie in dem warmen, bequemen Himmelbett lag. Und auch nicht heute Morgen, während sie sich in der Küche Frühstück machte.
Zu Anfang war sie gezwungen worden, hier zu bleiben, aber Lily musste auch einräumen, dass Dmitri nur ihrem Wunsch entsprach, den sie von Anfang an geäußert hatte, wenn er sie an diesem Morgen gehen ließ.
Doch wenn sie erst einmal fort war, würde sie ihn wahrscheinlich nie wiedersehen.
Was gut so war – oder nicht?
Genau auf diese Frage hatte sie noch keine Antwort gefunden.
Sie stand auf. „Ich räume nur hier auf, dann gehe ich nach oben und packe meine Sachen.“ Auch diesmal mied sie seinen Blick, als sie ihren
Weitere Kostenlose Bücher