Gefangen im Palazzo der Leidenschaft
würde. Was schneller der Fall sein würde, als sie sich vielleicht wünschte, wie ihr bewusst wurde, als sie vor der Rezeption angekommen waren.
Außer dem „Buongiorno, signor!“ , mit dem die strahlend lächelnde und sehr attraktive Empfangsdame Dmitri begrüßte, verstand Lily nichts von dem nachfolgenden Gespräch. Also wandte sie sich um und ließ den Blick durch die Lobby schweifen.
In einer Ecke der weitläufigen Halle stand eine große Weihnachtskrippe, in der anderen ein riesiger Tannenbaum, der in Gold und Silber geschmückt war, mit weißen Kerzenbirnen, die ein kaltes Licht verströmten. Hübsch verpackte Päckchen in Silberpapier lagen davor. Wehmütig musste Lily an die Weihnachtsbäume denken, als sie und Felix noch Kinder gewesen waren.
Meist waren es schiefe Bäume gewesen, die in kürzester Zeit ihre Nadeln verloren, nachdem ihr Vater sie ins Haus gebracht hatte. Der Schmuck hatte aus flackernden bunten Lichtern und den Dingen bestanden, die sie und Felix gebastelt und die nur einen persönlichen Wert hatten. Auch Engel und Sterne aus Lebkuchen, die ihre Mutter gebacken hatte, hatten daran gehangen. Die Geschenke waren unordentlich in kitschiges Papier mit Weihnachts- und Schneemännern eingeschlagen, doch all das hatte dem Baum etwas sehr viel Heimeligeres gegeben als die kalte Perfektion des Tannenbaumes, der diese Lobby schmückte.
Bestürzt merkte sie, dass bei der Erinnerung an die Weihnachtsfeste mit ihrer Familie Tränen in ihr aufstiegen. Wie anders waren die Feiertage verlaufen als die, die sie nun allein in diesem unpersönlichen Hotel verbringen würde.
Dmitris Miene hatte sich ein wenig verfinstert, als er sich von der Rezeption abwandte. Ihm gefiel nicht, dass die Männer Lily angestarrt hatten, als sie die Lobby betrat. Obwohl sie nur lässige Jeans und eine dicke Jacke trug, erntete die zarte, blonde Schönheit von jedem Mann anerkennende Blicke.
Der grimmige Ausdruck wich unverhohlener Besorgnis, als Dmitri sah, dass Tränen an ihren goldblonden Wimpern hingen. „Lily?“
Sie schniefte und fragte dann bewusst leichthin: „Alles erledigt?“
Ihr gezwungenes Lächeln konnte ihn nicht einen Moment täuschen. Er nickte, legte die Hand unter ihren Ellbogen und führte sie zu den Aufzügen. „Claudia und Felix geht es sicher gut, wo sie auch sein mögen“, versicherte er ihr sanft, als sie in den verspiegelten Lift traten.
„Ach, darum mache ich mir überhaupt keine Sorgen.“ Diesmal wirkte ihr Lächeln aufrichtig.
Forschend betrachtete Dmitri sie. „Und worüber dann?“
Ja, worüber eigentlich? Dass sie unglücklich sein würde, wäre sie von Dmitri getrennt und wieder allein?
Obwohl Lily es gewohnt war, allein zu sein, so, wie mehr oder weniger die letzten acht Jahre. Sie und Felix standen sich sehr nahe und hatten sich etwa einmal in der Woche getroffen, als er noch in London lebte. Trotzdem hatte ihr Bruder immer sein eigenes Leben geführt und war seinem persönlichen Stern gefolgt, egal, wo dieser ihn hinführen mochte. Deshalb hatte auch sie sich ihr eigenes Leben aufgebaut, mit Freunden und ihrer Karriere an der Schule. Obwohl sie allein lebte, hatte sie sich nie einsam gefühlt.
Bis jetzt …
Der Grund war der Mann, der neben ihr stand. Denn in wenigen Minuten würden sie sich voneinander verabschieden und sich vermutlich nie mehr wiedersehen. Lily bezweifelte, dass Dmitri ihr oder Felix erlauben würde, auch nur in die Nähe des Palazzos zu kommen, wenn Claudia erst wieder zu Hause war.
Schon der Gedanke machte sie traurig.
Obwohl das lächerlich war, wie Lily sich sofort ungehalten zurechtwies. Das anfängliche Bild von Dmitri als arroganter Despot mochte sich zwar in den letzten vierundzwanzig Stunden verwischt haben, aber er war und blieb Graf Scarletti, ein Multimillionär, der sich stets in Begleitung schöner Frauen befand. Wenn all dies vorbei war, würde er bestimmt keinen zweiten Gedanken an eine Lily Barton verschwenden, die in England als Lehrerin arbeitete und deren Bruder er verachtete. Ja, wären die Umstände andere gewesen, hätte er von ihr nicht einmal Notiz genommen.
„Es ist nichts“, wiegelte sie leichthin ab, als der Lift anhielt und sie in den mit einem Teppich ausgelegten Flur traten.
Hier riecht es sogar teuer, dachte Lily, als ihre Stiefel in dem dicken Teppich versanken. In dem Gang kamen sie an einigen auf Hochglanz polierten, verschnörkelten Tischchen vorbei. Auf den meisten standen Vasen mit bunten Blumen, deren Duft
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