Gefangen im Terror (German Edition)
gehörte zu seiner Ausbildung: Recherchen im Internet. Er hatte in den letzten 3 Wochen nichts anderes getan, als Sprengstoffpakete zu bauen, Zünder zu programmieren und Munitionskisten zu packen. Einige der Sprengsätze mussten mit Schaltern und längeren Leitungen versehen werden, mit harmlos aussehenden Druckknöpfen, die beim Loslassen eine verheerende Detonation auslösen würden. Viele der Sprengladungen waren so groß, dass zwei Männer sie gerade noch tragen konnten. Der Kommandant konnte gar nicht genug davon bekommen. Er hatte immer wieder nach der Anzahl der fertig gestellten Pakete gefragt und dann noch mehr in Auftrag gegeben. Die Zünder hatte sein arabischer Freund Achmed besorgt. Er war in Verbindungen mit einem Elektronikhersteller im Irak.
Seine „Einheit“, wie Chamil die Terrorgruppe nannte, bestand aus 45 Personen, davon waren im letzten Moment 10 Männer ausgetauscht worden. Niemand wusste warum.
Die neuen Kämpfer waren den übrigen nicht bekannt, teilweise sprachen sie Ingusch oder andere Dialekte. Sie waren nicht aus der Gegend, sondern aus dem nördlichen Kaukasus. Auch dort gab es einige Trainingslager für Terroristen. Das Netzwerk war so groß, dass nur die oberste Führungsspitze die Namen und Funktionen der einzelnen Kämpfer kannte. Die Kommandanten ließen sich nicht in die Karten schauen. Auch sein Freund Achmed war in der letzten Zeit in die oberen Ränge aufgerückt. Und obwohl die beiden Freunde sich oft über mögliche Einsätze unterhalten hatten, war die Schule von Beslan nie als Zielort genannt worden. Chamil vermutete aber, dass sein Freund die ganze Zeit Bescheid gewusst hatte. Er nahm es ihm übel, dass er ihn nicht informiert hatte. Auch Mehmet war einer, der ihn hätte warnen können. Chamil konnte es kaum glauben, dass ihm selbst sein eigener Bruder keinen Hinweis gegeben hatte.
Chamil hatte Fatmas Eltern wieder auf dem gleichen Weg verlassen, wie er gekommen war. Er hätte Fatma nicht aus der Schule holen können, das war nicht möglich. Er probierte noch einmal, sie über ihr Handy zu erreichen. Es war noch immer ausgeschaltet.
Als er Beslan verließ, hörte er die ersten Schüsse. Er fuhr zum Sprengstofflager, das nur ein paar Kilometer entfernt war. Es war leer. Sie hatten alle Sprengladungen mit in die Schule genommen. Er war zu spät gekommen. Mit dieser Menge an Bomben und Granaten hätten sie nicht nur die Schule, sondern die ganze Stadt in die Luft sprengen können.
Chamil war durcheinander und verzweifelt. Er wusste nicht, was er tun sollte. Jetzt noch zum Einsatzort zu fahren, war unmöglich. Er wäre zwischen die Fronten geraten. Außerdem konnte er seinem Kommandanten unmöglich erklären, warum er zu spät gekommen war.
Chamil war noch nicht lange aktiv als Terrorist im Dschihad mit dabei. Seit er den Freiheitskämpfern beigetreten war, wollte er sein Verhalten während des Studiums nicht mehr wahrhaben. Damals war er beeindruckt gewesen von den Freiheiten, die sich manche seiner Glaubensangehörigen herausnahmen. Wie Männer und Frauen in Tbilisi in der Öffentlichkeit miteinander umgingen, löste in ihm heute Scham und Entsetzen aus. Natürlich musste er immer wieder daran denken, wie er sich mit Fatma in Cafés getroffen hatte. Er verstand sich selbst nicht mehr. War er so geblendet gewesen vor Verliebtheit oder hatte der westliche Einfluss in Tbilisi sein Verhalten so negativ beeinflusst? Er schämte sich seiner Vergangenheit. Er würde als Terrorist alles wieder gut machen, denn sein Herz gehörte dem Islam und seinem Volk, dem tschetschenischen Volk.
Doch jetzt hatte er schon wieder versagt. Seine Unpünktlichkeit und Unzuverlässigkeit, worunter er selbst am meisten litt, waren ihm wieder zum Verhängnis geworden. Doch dieses Mal betraf es nicht nur ihn, sondern auch Fatma.
Seit dem Aufenthalt in einem Trainingslager in Afghanistan verstand er seinen jüngeren Bruder Mehmet viel besser. Mehmet war seit zwei Jahren ein radikaler Islamist, der die gerechte Sache bis zum Tod verfechten würde. Sehr früh war er mit Freiheitskämpfern in Berührung gekommen. Chamil bemerkte die Veränderung seines kleinen Bruders erst, als er eines Tages Zeuge eines Gesprächs wurde. Er hörte, wie Mehmet am Telefon den Umgang mit Handgranaten beschrieb. Chamil hatte ihn danach gefragt, wem er diese Anweisungen gegeben hatte. Mehmets Antwort darauf war kurz aber vielsagend: „Jeder Gotteskrieger muss das können!“
Chamil fragte nicht weiter nach, aber er
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