Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)
ihr beim Plätzchenbacken zuschauen.
Mit meinen verbundenen Händen saß ich da, in einen selbst gestrickten Pullover von Tante Emmi gehüllt, und staunte, wie geschickt sie mit Mehl und Backpulver und Nüssen hantierte. Das ging ihr alles so leicht von der Hand, und es duftete wie im Paradies. Andächtig leckte ich an einem Rührlöffel. »Schmeckt das himmlisch!«
»Du kannst noch gar nichts, was?« Mit leisem Staunen blickte sie mich an, während sie den Teig knetete. »Da hast du zwei Jahre in einem Haushalt mit Kindern gearbeitet und hast kein einziges Mal mit ihnen Plätzchen gebacken?«
»Nein.« Ratlos schüttelte ich den Kopf. So was hatte es bei Familie Schratt nicht gegeben. »Ich habe geputzt und Samen eingetütet.«
»Und, hast du wenigstens ein bisschen kochen gelernt?«
»Nein«, murmelte ich und ließ den Kopf hängen. »Bei den Schratts gab es immer nur Konserven und Fertiggerichte.«
»Aber die Kinder, die brauchen doch frisches Gemüse!«
»Sie hat ihnen manchmal eine Möhre in die Hand gedrückt«, räumte ich ein. »Und wenn etwas übrig blieb, habe ich es mir heimlich in den Mund geschoben.«
»Das ist ja schrecklich!« Ich konnte Tante Emmis entsetztes Gesicht kaum ertragen.
»Hast du denn schon einmal darüber nachgedacht, was du werden willst?«
Ich überlegte fieberhaft. Was ich werden WOLLTE ? War es jemals darum gegangen, was ich WOLLTE ? Kinder, die was wollen, kriegen was auf die Bollen.
»Oder anders gefragt: Was kannst du besonders gut?«, fragte Tante Emmi sanft.
»Na ja … .« Ratlos legte ich den Löffel weg. »Was kann ich denn … Samen eintüten. Das kann ich. Und Wäsche waschen. Und putzen.« Dann rutschte mir noch heraus: »Und mit Kindern spielen.«
»Würdest du denn später gern in einem Haushalt arbeiten?« Tante Emmi nahm den Teig und formte kleine Halbmonde. »So, das werden meine berühmten Vanillekipferl. Probier mal!«
Wieder ließ sie mich den Löffel ablecken. Ohne dass ich es merkte, fütterte sie mich ständig wie einen kleinen Spatz, der ihr zugeflogen war.
»Wenn ich jemals so gut kochen und backen könnte wie du«, seufzte ich hingebungsvoll und rieb mir heimlich den Bauch. »Dann würde ich wirklich gerne im Haushalt arbeiten!«
»Daran können wir doch arbeiten!«, freute sich Tante Emmi. »Dann hätten wir doch ein schönes Ziel!«
Als ich so weit wiederhergestellt war, dass ich nicht mehr Gefahr lief zusammenzuklappen, nahm mich die Tante mit in die Stadt. Längst war ich im Besitz eines Wintermantels mit Kapuze, dick gefütterter Winterschuhe, Handschuhe und Mütze. So warm eingepackt war es ein Genuss, mit der Tante durch Reutlingen zu schlendern. Die mittelalterliche Stadt am Fuße der Schwäbischen Alb hatte sich zur Adventszeit herausgeputzt. Hand in Hand lief ich mit Tante Emmi über den kleinen Weihnachtsmarkt. Ich durfte stehen bleiben, staunen und schauen, so viel ich wollte. Gebrannte Mandeln naschen und Rosinenstollen, bis ich platzte. Wie ein vertrockneter Schwamm sog ich alle Eindrücke in mich auf. Plötzlich fühlte ich mich wieder wie damals im Kindergarten, als das Christkind gekommen war! Alles war bunt geschmückt, und überall duftete es nach Tannengrün, gebrannten Mandeln und Weihrauch. Mit roten Wangen stand ich an der Bratwurstbude und mampfte. Tante Emmi lachte und freute sich über meinen wachsenden Appetit.
Sie hatte mir ein Lebkuchenherz um den Hals gehängt, auf dem in weißem Zuckerguss »Mein Herzblatt« stand. Ich trug es mit einem solch andächtigen Stolz vor mir her, dass die Leute stehen blieben und lächelten. Ständig wurden wir von Passanten freundlich gegrüßt; Tante Emmi war sehr beliebt in der Stadt. Sie war früher Lehrerin gewesen, und jeder zweite hatte bei ihr die Schulbank gedrückt. Sie nahm mich immer mit, wenn sie ihre ehemaligen Schüler oder Kollegen besuchte. Und überall, wo ich auftauchte, wurde ich herzlich aufgenommen und mit Christstollen, Keksen und Kakao vollgestopft.
»Das arme Kind ist ja so dünn!«
»Was hat man denn mit der gemacht!«
»Sieht aus wie der Suppenkasper: ›wog nur noch ein halbes Lot und war am fünften Tage tot!‹«
»Ihr hättet sie mal vor ein paar Wochen sehen sollen«, meinte die Tante dann ganz ernst. »Viel hätte wirklich nicht mehr gefehlt! Fast wäre sie verhungert, und das mitten in Deutschland.«
»Schrecklich!«
»Unglaublich!«
»Und das fast zehn Jahre nach dem Krieg!«
»Ach, Emmi, in dir hat sie einen Schutzengel gefunden!«
Ich
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