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Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)

Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)

Titel: Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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freute mich unbändig über alles, was man mir bot. Jede Karussellfahrt, jedes Stück Kuchen im Café, jeder Spaziergang durch den Park oder jeder Kaufhaus- oder Kinobesuch waren für mich ein Grund zum Jubeln. Ja, mit Tante Emmi ging ich zum ersten Mal in meinem Leben ins Kino. Es war das Wochenkino am Bahnhof, und sie spielten »Vom Winde verweht«. Tante Emmi hatte mir so von dem Film vorgeschwärmt, dass ich es kaum erwarten konnte. Die Vorstellung war komplett ausverkauft, aber als der Kartenverkäufer Tante Emmi erkannte und meine hoffnungsvollen Augen sah, ging er nach oben in seine Wohnung und holte zwei Hocker aus seinem Bad. Darauf haben Tante Emmi und ich dann den langen Film geschaut. Das werde ich nie vergessen! Als sich der Vorhang nach dem ersten Teil schloss, Scarlett O’Hara beschwörend eine Möhre in den roten Himmel hielt und schrie: »Ich schwöre bei Gott, ich will nie wieder hungern«, mussten wir beide weinen.
    Mit sechzehn bekam ich zum ersten Mal meine Tage. Vertrauensvoll ging ich zu Tante Emmi und zeigte ihr die Bescherung in meinem Wollschlüpfer. Bei meiner Mutter hätte ich mich das nie getraut, und bei Margit Schratt erst recht nicht. Beide hätten mir den Schlüpfer um die Ohren geschlagen. Tante Emmi hingegen nahm mich liebevoll in den Arm und erklärte mir, das sei völlig normal, das hätte jede Frau. Alle vier Wochen. Wir würden Binden kaufen, und dann wäre das überhaupt kein Thema mehr. Ich müsse jetzt nur aufpassen, dass mir kein junger Mann zu nahe käme, denn von nun an könne ich Babys bekommen.
    Das glaubte ich der Tante nicht. Die würden doch gar nicht in mich reinpassen! Bis ich achtzehn war, glaubte ich noch, vom Küssen könnte man schwanger werden. So aufgeschlossen Tante Emmi war: richtig aufgeklärt hat auch sie mich nicht. Ich ging Jungen sowieso aus dem Weg; zu schrecklich war die Erinnerung an das, was einer von ihnen meiner Schwester Sieglinde angetan hatte. Auch wie meine Eltern miteinander umgegangen waren, war für mich kein Vorbild. Nein, ich wollte keinen Mann. Ich wollte selbstständig leben und arbeiten. Am liebsten wäre ich für immer bei Tante Emmi geblieben. So gut wie jetzt war es mir noch nie gegangen. Alle paar Wochen schrieben wir am Küchentisch gemeinsam lange ausführliche Briefe an die Eltern. Zu Weihnachten durfte ich ihnen sogar ein Päckchen mit warmer Kleidung und allerlei Leckereien schicken. Auch meiner Schwester schrieben Tante Emmi und ich Briefe, und Sieglinde schrieb zurück. Sie hatte inzwischen drei Kinder und schuftete in der Bäckerei mit ihrem Mann. Nun war sie schon wieder schwanger – ich beneidete sie nicht.
    Am Heiligen Abend besuchten wir Marianne, Tante Emmis längst erwachsene Tochter, die selbst zwei Kinder hatte. Diese Ehe schien absolut glücklich zu sein, bei ihr herrschten immer Fröhlichkeit und Harmonie. Wenn ich jemals Mutter würde, das schwor ich mir, würde ich meinen Kindern auch Liebe und Wärme mit auf den Weg geben, statt ihnen mit Schlägen und Strafen das Rückgrat zu brechen. Marianne und ihr Mann Helmut besaßen ein wunderschönes neues Haus außerhalb der Stadt, auf einem Hügel, mit einem großen Garten. Dort konnten wir einen Schneemann bauen und lieferten uns eine übermütige Schneeballschlacht. Die Erwachsenen sahen gerührt zu, wie begeistert ich mit den Kindern spielte.
    »Sie hat ein Händchen für so was«, hörte ich Tante Emmi zu ihrer Tochter sagen. »Sie soll später in einem Haushalt arbeiten. Schau nur, wie geduldig und liebevoll sie ist!«
    »Aber erst päppeln wir sie noch weiter auf«, murmelte Marianne.
    Von Marianne bekam ich sämtliche Kleidung, die ihr nicht mehr passte, aber Tante Emmi musste sie ein gutes Stück enger machen.
    Als der Frühling kam, blühte ich auf wie die Tulpen und Primeln in Tante Emmis Vorgarten. Doktor Winkler war sehr zufrieden. Seine Vitamin-Kur hatte angeschlagen, jeden Abend bekam ich einen Esslöffel von diesem süßen, klebrigen Tetravitol; ich sah aus wie Rotbäckchen.
    Weil Marianne wieder in den Schuldienst zurückkehrte, verbrachten Tante Emmi und ich die Vormittage bei ihren Kindern in dem großen Haus mit dem großen verwilderten Garten. Während Tante Emmi das Essen zubereitete und das Haus aufräumte, tobte ich mit den Kindern auf der Schaukel und dem Klettergerüst herum. Mit diesen Kindern lernte ich auch das Radfahren; zuerst mit angezogenen Beinen auf dem Dreirad, das mein Gewicht spielend aushielt, dann auf dem Kinderrad mit

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