Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)
hat so viel um die Ohren, redete ich mir ein. Bei seinen vielen Millionendeals hat er schlichtweg vergessen, uns einen Notgroschen dazulassen. Deine Sorgen sind lächerlich, Gerti. Er hat eine dreiwöchige Überfahrt auf der MS Europa für dich und die Kinder organisiert! Damit ihr eine traumhafte Reise habt! Andere Männer vergessen den Hochzeitstag oder den Geburtstag ihrer Mutter. Er hat wirklich andere Dinge um die Ohren. Wichtigeres. Er wird das Geld sofort zurücküberweisen, wenn er in drei Wochen von dem Missgeschick erfährt.
»Also Sie können mir … nicht helfen?« Ein letztes Mal schaute ich Horst Kreutzmann tief in die Augen.
»Ich darf nicht, Gerti. Sonst komme ich in Teufels Küche. Privat kann ich dir leider nicht helfen, und kraft meines Amtes darf ich nicht.« Auf einmal duzte er mich, der treue Freund. Ich mochte ihn sehr. Die Sorge um mich stand ihm ins Gesicht geschrieben.
»Hm. Verstehe. Kann ich mal kurz telefonieren?«
»Aber sicher. Ich gehe so lange raus.«
Die einzige Nummer, die mir einfiel, war die meiner Eltern in Glatten. Sie hatten erst seit Kurzem einen Telefonanschluss. »Für Notfälle«, wie mein Vater mir noch mitgeteilt hatte.
»Das ist ja irgendwie auch ein Notfall«, murmelte ich entschlossen, steckte mir eine neue Zigarette an und drehte die Wählscheibe.
Mein Vater verkaufte auf Anhieb sein bestes Grundstück, um mir zu helfen. Es war das einzige Feld, das nicht senkrecht zum Fluss hin abfiel, das Filetstück seines mageren Besitzes. Aber es war genau zehntausend Mark wert, und damit konnte ich die Transportkosten begleichen. Ich war unglaublich gerührt, dass meine Eltern mir in dieser Situation frag- und klaglos beistanden. Ich müsse ihnen das Geld auch nicht zurückgeben, hatten sie gesagt. »Wir zahlen dir einfach jetzt schon ein Teil deines Erbes aus.« Vielleicht wollten sie auch die vielen Schläge wiedergutmachen, die ich als Kind hatte einstecken müssen. Den Hunger, die Kälte, die Kinderarbeit. Trotzdem fühlte ich mich schuldig ohne Ende. Meine Eltern waren arm und schufteten hart für ihr kärgliches Dasein. Außerdem hatten sie doch nur noch ihre Landwirtschaft!
Lange konnte ich mir keine Gedanken darüber machen, denn am nächsten Morgen um acht brachen wir auf. Meine gleichaltrige Cousine Margot, die genauso mit Schlägen aufgezogen worden war wie ich, und ihr Mann Sepp kamen extra aus Horb, um uns nach Genua zu fahren. Als wir gerade zu ihnen ins Auto steigen wollten, kam die ganze Nachbarschaft angelaufen. Wie bestellt standen sie da, beladen mit Abschiedsgeschenken. »Hier, Gerti, du bäckst doch so gerne Kuchen! In Südwestafrika gibt es diese Zutaten bestimmt nicht, schau nur, Zimt, gehackte Mandeln, Vanillezucker und Rumaroma … «
»Rum haben sie dort zur Genüge«, sagte ich und lachte gerührt.
»Hier, für die Kinder: Kuscheltiere! Sie brauchen doch einen treuen Reisegefährten!«
»Bücher für die lange Überfahrt! Und ein Schmusekissen für einsame Stunden!«
»Diesen Schal habe ich selbst gestrickt, Gerti! Damit du abends auf dem Kreuzfahrtschiff nicht frierst!«
»Gesellschaftsspiele, Kartenspiele, und … drei Pfund Schwarzbrot. Selbst gebacken, Gerti, nach deinem Rezept!«
»He, Leute, jetzt reicht es aber!« Sepp drückte lachend auf die Hupe seines vollgestopften Autos. »Mehr geht hier beim besten Willen nicht rein!«
Keine Briefmarke passte mehr in das Auto. Nach vielen tränenreichen Umarmungen, Küssen und tausend Versprechungen, zu schreiben, Reutlingen und unsere Freunde nicht zu vergessen, quetschten wir uns schließlich in den Wagen. »Das Schiff wartet nicht!«, mahnte Sepp mit wachsender Nervosität, und auch Margot war fast schon aufgeregter als wir selbst.
»Oh, ich glaube, ich muss noch mal ganz schnell aufs Klo … «
Die Kinder wollten natürlich auch noch mal, und das Chaos steigerte sich. Sämtliche Nachbarhunde kläfften sich die Seele aus dem Leib, und selbst die zurückhaltende Frau Bratzke, die mich noch nie im Leben gegrüßt hatte, weil sie Leo aus irgendeinem Grunde nicht mochte, lehnte im Fenster und ließ sich zu einem leisen »Gute Reise« hinreißen.
Alle winkten, die Nachbarskinder fielen Thomas und Bernd ein letztes Mal schluchzend um den Hals. »Darf ich dein Fahrrad wirklich behalten?« und »Eure Schaukel, dürfen wir die echt bei uns im Garten aufstellen?« Mir fiel in meiner Aufregung nichts Besseres ein, als zu sagen: »Es ist ja nicht so, dass wir nach Amerika auswandern!«, woraufhin
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