Gefangen in Deutschland
berichtete ich aus meinem Leben und wie Mahmud und ich uns kennengelernt hatten. Hatice hatte sich mittlerweile auch wieder zu uns gesellt, und Aysegül hatte alle Hände voll zu tun, meine Worte zu übersetzen. Ab und zu sah ich, wie die zwei Frauen bei meinen Schilderungen erstaunt die Augenbrauen hoben oder den Kopf schüttelten. Als ich geendet hatte, stießen sie beide tiefe Seufzer aus.
»Ich beneide dich um dein Leben«, sagte Aysegül schließlich, nachdem eine Weile Schweigen geherrscht hatte.
Verlegen musste ich lachen.
»Was gibt’s denn da zu beneiden?«, wollte ich wissen.
»Du bist frei erzogen worden und kannst mit dem Mann zusammen sein, den du liebst.«
Es dauerte einen Moment, bis ich verstand, was sie mir damit sagen wollte.
»Ja, liebst du deinen Mann etwa nicht?«, fragte ich ungläubig.
Aysegül blickte beschämt zu Boden.
»In unserer Familie heiratet man nicht aus Liebe, Katja. Es sind fast immer arrangierte Ehen, die von den Eltern des Brautpaars vereinbart werden. Ich wurde Ogün schon mit drei Jahren versprochen, und als ich vierzehn war, wurden wir verheiratet. Am Anfang dachte ich oft darüber nach, meinem Leben ein Ende zu bereiten. Leider hatte ich aber nie den Mut dazu.«
Wieder herrschte einen Moment betretene Stille, bevor sie schließlich fortfuhr.
»Aber heute ist es okay so, wie es ist. Ich habe gelernt, meinen Mann zu lieben.« Als ob sie mir zu viel verraten hätte, wechselte Aysegül schnell das Thema. »Wie sieht es denn mit dir und Mahmud aus? Wollt ihr heiraten?«
»Darüber habe ich mir bisher gar keine Gedanken gemacht«, erwiderte ich wahrheitsgemäß. »Eine Eheschließung ist zwischen mir und Mahmud noch nie der Punkt gewesen.«
»Dann solltest du dir aber mal Gedanken darüber machen! Wir Türken feiern nämlich fantastische Hochzeitsfeste!«
Aysegül zwinkerte mir zu und wandte sich an Hatice, um ihr das vorangegangene Gespräch zu übersetzen. Später bereiteten wir gemeinsam das Abendessen zu. Da ich nicht Türkisch kochen konnte, beschränkte sich meine Mithilfe auf Gemüseschnippeln. Auch das Abendessen wurde getrennt eingenommen. Hatice servierte den Männern das Essen im Wohnzimmer, wir Frauen aßen in der Küche.
Beim anschließenden Teetrinken erfuhr ich, das Aysegül schon im Alter von fünf Jahren nach Deutschland gekommen war und bis zum Eintritt in die Pubertät ein sehr freies Leben hatte führen können. Dann allerdings war es vorbei mit der Freiheit. Die Familie beschloss, dass sie fortan zu Hause bleiben musste. Sie durfte die Schule nicht mehr besuchen und hatte ein Kopftuch zu tragen. Als sie dreizehn Jahre alt war, wurde Verlobung gefeiert, mit vierzehn dann die Hochzeit.
»Am schlimmsten war die Hochzeitsnacht«, erzählte sie mir. »Weißt du, ich wurde von niemandem aufgeklärt. Bei uns spricht man über solche Dinge nicht. Ogün war für mich ein fast fremder Mensch. Er war zwei- oder dreimal bei uns zu Besuch gewesen und ich habe ihm Tee serviert. Das war der einzige Kontakt, den wir vor der Hochzeit hatten.«
Eine Woge von Mitleid durchflutete mich. In welch eine grausame Kultur war ich denn hier hineingeraten? Dutzende von Fragen taten sich vor mir auf. Mahmud würde mir später Rede und Antwort stehen müssen. Gern hätte ich auch noch etwas über das Schicksal von Hatice erfahren, aber die mangelnden Sprachkenntnisse verhinderten dies. Aysegül hatte auch so schon genug damit zu tun, unser Gespräch zu dolmetschen. Ich wollte sie nicht noch mehr strapazieren.
Als wir uns später verabschiedeten, musste ich Aysegül fest versprechen, sie auch bald einmal zu Hause zu besuchen. Hatice schenkte mir zum Abschied ein Kopftuch, das sie eigenhändig mit aufwendigen Stickereien verziert hatte, sowie ein Armband mit einem Anhänger in Form eines Auges. Aysegül erklärte mir, dass mich dieses Auge vor bösen Blicken schützen sollte.
Unterwegs im Auto war ich sehr nachdenklich. Mahmud bemerkte dies natürlich und fragte mich, was los sei. Da ich aber erst einmal Ordnung in meine Gedanken bringen wollte, gab ich nur ausweichend Antwort und ließ das Gespräch mit Aysegül während der Fahrt Revue passieren. Sie hatte mir bei unserer Unterhaltung versichert, dass die Verhaltensweisen der Männer in ihrer Familie rein gar nichts mit der islamischen Religion zu tun hätten, sondern lediglich auf alte Familientraditionen zurückzuführen seien. Es würde nicht überall so zugehen wie bei ihnen. Leider konnte ich das so gar nicht
Weitere Kostenlose Bücher