Gefangen in Deutschland
beurteilen, da ich nichts über den Islam wusste. Ich beschloss, am nächsten Tag in die Stadt zu fahren und mir eine deutsche Übersetzung des Korans zu besorgen.
Mahmud hatte sich vorgenommen, mich nun peu à peu auch dem Rest der Familie vorzustellen. Schließlich waren wir schon seit gut anderthalb Jahren zusammen und teilten seit Monaten eine gemeinsame Wohnung. Für diesen nasskalten Januartag war ein Besuch bei seinem Cousin Hassan etwa vierzig Kilometer von unserem Wohnort entfernt geplant.
Zu meiner großen Begeisterung stellte sich heraus, dass Hassan mit einer deutschen Frau verheiratet war. Manuela war vierundzwanzig und schon seit drei Jahren seine Ehefrau. Dass sie keine absolute Schönheit war, sah man auf den ersten Blick: Sie war relativ klein und kräftig gebaut und ihre kurzen Locken standen in alle Richtungen vom Kopf ab, sodass ihr Gesicht sehr breit und ihre Augen wesentlich kleiner wirkten, als sie tatsächlich waren. Doch es ging eine große Wärme von ihr aus und ich fühlte mich in ihrer Gegenwart sofort wohl. Nach der herzlichen Begrüßung bat sie uns herein. Ihre Wohnung war sehr groß, geschmackvoll eingerichtet und blitzsauber. Hassan werde erst später dazukommen, hieß es, da er sich noch an seinem Arbeitsplatz in einer Pizzeria befand.
Nachdem wir im Wohnzimmer Platz genommen hatten, nahm Manuela unsere Getränkewünsche entgegen. Ich hatte mittlerweile meine Vorliebe für den etwas herben Geschmack des türkischen Tees entdeckt. Mahmud schloss sich mir an, und so standen nur kurze Zeit später die mir schon bekannten silbernen Teekannen auf dem Tisch. Besonders gut gefielen mir die kleinen bunten Gläser, in denen der Tee serviert wurde. Ich beschloss, Mahmud zu bitten, für unseren Haushalt ebenfalls ein solches Service zu besorgen.
Natürlich wollte auch Manuela, die mich die ganze Zeit interessiert gemustert hatte, gern wissen, unter welchen Umständen Mahmud und ich uns kennengelernt hatten, und bereitwillig erzählte ich ihr unsere Geschichte. Kaum war ich fertig mit meinem Bericht, hörten wir auch schon, wie sich der Schlüssel in der Wohnungstür herumdrehte: Hassan. Als er kurz darauf das Wohnzimmer betrat, glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen. Hassan war sicherlich einer der bestaussehendsten Männer, die ich je gesehen hatte. Er war mindestens einen Meter achtzig groß, muskulös, braun gebrannt und hatte dichtes, leicht gewelltes Haar. Wenn er lächelte, blitzten seine makellosen weißen Zähne auf. Sofort stellte sich mir die Frage, warum er sich wohl eine so unscheinbare Frau wie Manuela gesucht hatte. Die Begrüßung zwischen den beiden konnte man auch getrost als unterkühlt bezeichnen. Mir war aber nicht klar, ob diese Zurückhaltung nicht vielleicht mit unserer Anwesenheit zu erklären wäre. Auch Mahmud tauschte im Beisein Dritter kaum Zärtlichkeiten mit mir aus.
Hassan setzte sich zu uns und Manuela servierte ihm ebenfalls einen Tee. Anschließend entschuldigte sie sich, weil sie in der Küche das Abendessen vorzubereiten hätte. Ich erbot mich sofort, ihr zu helfen, denn einerseits wollte ich nur ungern mit den beiden Männern allein bleiben, und andererseits war ich neugierig, die Geschichte zu erfahren, die Hassan und Manuela miteinander verbinden musste. Denn es gab eine, dessen war ich mir sicher.
Mit einem Lächeln schloss meine neue Bekannte die Küchentür hinter uns zu.
»Dann sind wir ungestört und können ein bisschen quatschen. Männer dürfen alles essen, aber nicht alles wissen!« Sie zwinkerte mir verschwörerisch zu. »Aber jetzt mal ehrlich: Wie kommt ihr beide denn wirklich im Alltag zurecht? Ich weiß doch, wie schwierig Mahmud ist! Schließlich ist er mit Hassan verwandt, und der ist definitiv auch schwierig.« Wieder folgte ein kurzes Lachen.
Manuela hatte eine so entwaffnend offene Art, dass ich ihr ohne Bedenken alle Schwierigkeiten anvertraute, die ich in der letzten Zeit mit Mahmud durchlebt hatte. Während sie Hähnchenschenkel und Gemüse auf einem Backblech platzierte, hörte sie mir aufmerksam zu.
»Ja, so in etwa hatte ich mir das schon gedacht«, sagte sie mit einem Kopfschütteln. »Es hätte mich auch schwer gewundert, wenn Mahmud sich in so kurzer Zeit grundlegend geändert hätte.«
Nun machte sie mich aber neugierig!
»Wie soll ich das verstehen?«, wollte ich sogleich in Erfahrung bringen.
»Nun ja, du musst wissen, dass Mahmud vor dir schon mal zwei Jahre mit einer deutschen Frau zusammen war. Sie heißt
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