Gefangen in Deutschland
unmöglich abschlagen konnte. Außerdem freute ich mich wirklich darauf, endlich seine Familie kennenzulernen, und wollte dort natürlich auch einen guten Eindruck hinterlassen.
Da ich noch krankgeschrieben war, setzte ich mich am nächsten Morgen in den Bus und fuhr in die Innenstadt. Nach langem Suchen fand ich einen halbwegs schicken Rock, der die erforderliche Knöchellänge aufwies. Eine passende Bluse war dann schnell gefunden, da diese ja lediglich keinen weiten Ausschnitt und lange Ärmel haben musste. Einigermaßen zufrieden trat ich den Heimweg an.
Den ganzen Nachmittag über war ich sehr aufgeregt. Es war das erste Mal, dass ich bei einer türkischen Familie zu Besuch eingeladen war. Als Mahmud von der Arbeit nach Hause kam und meine Nervosität spürte, musste er lachen.
»Die werden dich schon nicht auffressen, Liebling!«
Er nahm mich in den Arm und gab mir einen zärtlichen Kuss auf die Nasenspitze. Kurz bevor wir fahren wollten, folgten dann aber doch noch diverse Verhaltensmaßregeln.
»Schau den männlichen Mitgliedern meiner Familie nie direkt ins Gesicht! Das gehört sich nicht! Sprich nur, wenn du gefragt wirst! Und du darfst vor meiner Familie niemals rauchen, das wäre respektlos. Ach, und bevor ich es vergesse: Wir werden uns dort nicht im selben Raum aufhalten. Bei uns ist es nicht üblich, dass Männer und Frauen zusammensitzen.«
Mir schwirrte der Kopf vor lauter Anweisungen. So hatte ich mir diesen Besuch nun wirklich nicht vorgestellt!
»Aber, Mahmud, wie soll das funktionieren?«, wandte ich kleinlaut ein. »Ich kann mich doch mit deiner Schwägerin gar nicht verständigen. Ich spreche kein Türkisch und sie garantiert kein Deutsch.«
Mahmud zwinkerte mir aufmunternd zu.
»Dann unterhaltet ihr euch eben in Zeichensprache, mein Schatz!«
Wieder einmal nahm er mich einfach nicht ernst. Seufzend gab ich es auf, ihm meine Bedenken mitzuteilen. Es würde schon schiefgehen.
Nach einer kurzen Autofahrt erreichten wir das Haus, in dem sein Bruder lebte. Von außen sah es ganz nett aus, relativ gepflegt und mit einem kleinen leicht verwilderten Vorgarten. Auf unser Klingeln hin wurde uns sofort die Tür geöffnet. Eine blutjunge Frau, die ein bis tief in die Stirn gezogenes Kopftuch trug, stand schüchtern im Flur und murmelte ein kaum zu verstehendes » Hoz geldiniz !«. Erst später sollte ich erfahren, dass dies unter Türken die übliche Begrüßung für Gäste ist und man » Hoz bulduk !« darauf erwidert.
Ich lächelte sie freundlich an und streckte ihr die Hand zur Begrüßung entgegen. Nur zögerlich ergriff sie sie. Plötzlich tauchte von hinten ein Mann auf, der sich mir als Mahmuds Bruder Ali vorstellte. Nachdem sich auch die Brüder begrüßt hatten, gingen sie direkt in das angrenzende Wohnzimmer.
Die junge Frau zeigte mit einem Finger auf sich und sagte: »Hatice.« Wie ich richtig vermutete, handelte es sich hierbei um ihren Namen. Dann gab sie mir durch eine erneute Handbewegung zu verstehen, ich solle ihr in die Küche folgen. Zumindest schlussfolgerte ich aus der spärlichen Einrichtung, dass es sich bei dem Raum um die Küche handeln musste. Obwohl er sehr groß war, befanden sich nur ein Herd, ein Kühlschrank, eine Spüle und ein paar Schränke darin. Von einer Sitzmöglichkeit war weit und breit nichts zu sehen. Lediglich ein paar große Kissen lagen auf dem Boden herum.
Dort hatte es sich bereits eine andere junge Frau bequem gemacht. Zu meiner Überraschung und Erleichterung begrüßte sie mich in fast akzentfreiem Deutsch.
»Hallo und herzlich willkommen! Ich bin Aysegül, die Frau von Mahmuds Bruder Ogün. Und du musst Katja sein! Es wurde schon viel über dich gesprochen in unserer Familie. Setz dich doch zu mir!«
Sie deutete auf den freien Platz neben sich und klopfte mit der Hand auf das Kissen. Gern kam ich der freundlichen Aufforderung nach. Hatice bereitete derweil in zwei silbernen Kannen Tee zu, die sie den Männern zusammen mit etwas Obst ins Wohnzimmer brachte.
Ich betrachtete Aysegül verstohlen von der Seite. Sie war höchstens zwanzig Jahre alt und von einer seltenen Schönheit. Ihre Haare hielt sie unter einem weißen Kopftuch verborgen, das mit goldenen Stickereien verziert war. Ihre Augen waren groß und ausdrucksvoll.
Als sie bemerkte, dass ich sie musterte, schenkte sie mir ein warmes Lächeln.
»Erzähl mir was von dir!«, bat sie. »Die restliche Familie ist schon ganz neugierig darauf, mehr von dir zu erfahren.«
Bereitwillig
Weitere Kostenlose Bücher