Gefangen in Deutschland
meine Tochter erwarten? Einschränkungen, Verbote, Unterordnung, Demut, Schläge und Angst als ständige Begleiter!
Das Klingeln an der Haustür riss mich aus meinen trüben Gedanken. Ich eilte zur Tür, um zu öffnen. Entsetzt blickte Aysegül mich an und musterte mich von Kopf bis Fuß. Ich wollte gerade fragen, warum sie mich so anstarrte, als ich bemerkte, dass ich noch immer das Kissen unter meiner Bluse trug. Mit einem schnellen Handgriff zog ich es hervor und schloss die Tür hinter Aysegül.
Bei einem Glas Tee erzählte ich ihr dann, was die frauenärztliche Untersuchung ergeben hatte. Aysegül sah mich prüfend an.
»Bist du dir wirklich sicher, dass du das Kind nicht haben willst? Du hast eben nicht gerade so ausgesehen, als ob du mit dieser Entscheidung glücklich wärst.«
»Aysegül, es geht nicht darum, was ich möchte und was nicht! Es geht einzig und allein darum, was machbar ist. Du weißt doch selbst, wie Mahmud mich manchmal zurichtet! Wie soll ich da für ein Kind sorgen können? Außerdem habe ich die Hoffnung auf eine Flucht noch nicht aufgegeben. Mit einem Baby hätte ich jede Chance darauf verspielt.«
»Ja, du hast recht«, nickte Aysegül mir zu. »Aber wie willst du das anstellen, ohne dass Mahmud etwas davon mitbekommt? Er flippt aus, wenn er herausfindet, dass du sein Kind umbringst.«
Bei ihren letzten Worten zuckte ich unwillkürlich zusammen. Aysegül sprach meist sehr offen aus, was sie dachte. Feingefühl war noch nie ihre Stärke gewesen.
»Ich zähle auf deine Hilfe!«
Fast schon beschwörend schaute ich sie an.
»Die bekommst du. Worauf du dich verlassen kannst!«, sagte Aysegül und drückte meine Hand.
23. K APITEL
Der Eingriff
A ysegül hielt Wort. Als Erstes vereinbarte sie für mich einen Termin bei meinem Frauenarzt. Da ich sowieso regelmäßig dorthin musste, um mir ein neues Rezept für die Pille zu besorgen, schöpfte Mahmud keinen Verdacht.
Teilnahmsvoll schaute Dr. Lindner mich an. Ich war schon lange bei ihm in Behandlung, hatte aber noch nie über persönliche Dinge mit ihm gesprochen.
»Nach dem, was Sie mir erzählt haben, bescheinige ich Ihnen natürlich sofort die Indikation für den Abbruch«, erklärte er. »Ich selbst pflege solche Eingriffe zwar nicht zu machen, kann Ihnen aber ein paar Kollegen hier in der Nähe nennen, die ambulante Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Meine Sprechstundenhilfe gibt Ihnen eine Liste mit den Namen.«
Somit war die erste Hürde genommen. Als nächsten Schritt hatte Aysegül einen Termin zur Konfliktberatung bei pro familia vereinbart. Um für diesen Termin außer Haus zu kommen, gab Aysegül Mahmud und Ogün gegenüber an, einen Kinderarzttermin mit Özlem zu haben, bei dem sie meine Begleitung brauche. Zwar gaben die Brüder uns hierzu ihre Zustimmung, aber unsere Unternehmung war trotzdem nicht ganz ungefährlich, der Kinderarzt und die Beratungsstelle lagen nämlich in völlig entgegengesetzten Richtungen. Was, wenn uns ein Mitglied aus Mahmuds Riesenfamilie im falschen Stadtteil begegnen würde? Ich wollte Aysegül auf keinen Fall in Schwierigkeiten bringen, indem ich sie in ein Lügengespinst verstrickte.
Doch zum Glück lief alles glatt und wir trafen wohlbehalten und von niemandem aus Mahmuds Sippschaft bemerkt bei pro familia ein.
Auch die Mitarbeiterin der Beratungsstelle, mit der ich mein Gespräch hatte, war sehr freundlich. Sie klärte mich über sämtliche Hilfen auf, die mir zustehen würden, wenn ich mich dazu entschließen sollte, das Baby doch zu bekommen. Von der Schwangerschaftsbekleidung bis zur Babyerstausstattung würde der Staat alles bezahlen.
»Aber es sind gar keine finanziellen Gründe, warum ich das Baby nicht bekommen will«, brachte ich stotternd hervor.
Frau Decker betrachtete mich aufmerksam. Ruhig fragte sie nach dem Grund für meinen Abtreibungswunsch. Ich holte tief Luft und begann ihr von meiner Lebenssituation zu erzählen. Was mir nicht leichtfiel, war es doch für jemand Außenstehenden sicher kaum nachvollziehbar, wie man so leben konnte wie ich. Frau Decker hörte mir jedoch konzentriert zu, ohne mich ein einziges Mal zu unterbrechen. Ich spürte, wie gut es mir tat, mit einer psychologisch geschulten Fachkraft über mein schreckliches Dilemma zu reden. Aus den Augenwinkeln registrierte ich, wie Aysegül mich immer wieder mahnend von der Seite ansah. Es schien ihr nicht recht zu sein, dass ich mit dieser fremden Frau so offen sprach. Mir war das aber in dem Moment
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