Gefangene deiner Dunkelheit
seine Verbitterung spüren konnte.
Er drehte sich zu ihr um und lehnte sich mit der Hüfte an das Geländer. »Ja. Ich hatte keine Ahnung, dass ich wütend auf ihn war, aber ich bin es. Nach Hunderten von Jahren mache ich noch immer den Prinzen dafür verantwortlich, in einen Kampf verwickelt worden zu sein, den wir nicht gewinnen konnten.«
»Du weißt, dass es nicht das war, was dein Volk so dezimiert hat«, wandte sie so sanft wie möglich ein. »Du hast selbst gesagt, in deiner Jugend wäre dir der Frauenmangel bereits aufgefallen und dass Babys auch damals schon nur selten überlebten. Die Veränderungen hatten also schon begonnen.«
»Niemand will glauben, dass seine Spezies von der Natur dazu verdammt ist auszusterben.«
»Ist es das, was du denkst?«
»Ich weiß nicht, was ich denke, nur, was ich getan hätte. Und ich hätte unser Volk nicht in diesen Krieg geführt.«
»Und inwiefern wäre dann alles anders ausgegangen?«
»Vlad würde noch leben«, sagte Manolito. »Er wäre nicht unter den Gefallenen. Wir wären nicht mit so wenigen Frauen und Kindern hilflos unserem Schicksal überlassen, dass es schier unmöglich ist, unser Volk am Leben zu erhalten. Füg unsere Feinde noch hinzu, und wir sind verloren.«
»Wenn du das glaubst, warum hast du Mikhail dann das Leben gerettet? Ich habe natürlich davon gehört. Alle sprachen darüber, was du für ihn getan hast, als er in den Höhlen angegriffen wurde. Wenn du ihn nicht für fähig hältst, die Karpatianer zu regieren, warum hast du dann für ihn dein Leben riskiert? Warum warst du bereit, für ihn zu sterben? Zumal du mich bereits gesehen hattest und wusstest, dass du eine Gefährtin hast. Warum hast du dir die Mühe gemacht?«
Er verschränkte seine Arme vor der Brust und blickte stirnrunzelnd von seiner überlegenen Höhe auf sie herab. »Weil es meine Pflicht ist.«
»Manolito, das ist lächerlich. Du bist kein Mann, der blindlings jemandem folgt, an den er nicht glaubt. Du magst die Entscheidung deines Prinzen zwar angezweifelt haben, doch du hast an ihn geglaubt, und du musst auch an seinen Sohn glauben, denn sonst wärst du nicht mit ihm in den Krieg gezogen, hättest ihm nicht die Treue geschworen oder gar dein Leben für das seine hingegeben.«
»Ich habe viel mehr getan, als die Entscheidung meines Prinzen anzuzweifeln«, sagte er.
Sie sah den Schatten, der über sein Gesicht glitt, und den gequälten Blick in seinen schwarzen Augen. Jetzt kamen sie endlich voran. Nun würde er ihr seine tiefsten Schuldgefühle offenbaren. Sie wusste schon, was er sagen würde, weil sein Geist mit ihrem verschmolzen war und sie dort das Schuldbewusstsein sehen konnte, die Furcht, dass er einen Prinzen verraten hatte, den er nicht nur bewunderte und respektierte, sondern sogar liebte.
Manolito sah das jedoch nicht so, und das faszinierte sie. Ihm war nicht einmal bewusst, wie sehr er Vlad Dubrinsky bewundert hatte und wie unglücklich er über die endgültige Niederlage und den Tod des Prinzen in den Händen ihres Feindes gewesen war. Vor allem jedoch erkannte er nicht, dass sein Zorn sich gegen ihn selbst richtete, weil er seine Heimat verlassen und sich dazu entschlossen hatte, in einem fernen Land zu kämpfen, für Menschen, die nichts für Karpatianer übrig hatten.
»Ich habe Vlad jedes Mal verraten, wenn ich mich mit meinen Brüdern zusammensetzte und seine Ansichten und Entscheidun gen infrage stellte. Riordan und ich haben dir schon davon erzählt, doch das war nur eine sehr abgeschwächte Version unserer Gespräche. Wir machten eine regelrechte Kunst daraus. Wir zerpflückten jeden einzelnen Befehl des Prinzen und betrachteten ihn von allen Seiten. Wir glaubten, dass er auf uns hören müsste, dass wir mehr wüssten als er.«
»Ihr wart jung, noch nicht einmal erwachsen und noch zu starken Gemütsbewegungen imstande.« Auch ohne ihre geistige Verbindung wusste sie, dass seine Emotionen damals sehr stark gewesen sein mussten. Er hatte sich vielen der anderen Krieger überlegen gefühlt, körperlich wie geistig. Seine Brüder waren wie er gewesen und hatten ihre Debatten darüber genossen, wie sie ihrer Spezies am besten dienen und das karpatianische Volk durch die Gefahren jedes neuen Jahrhunderts führen konnten. »War Verrat in euren Herzen und Gedanken, Manolito, wenn ihr debattiert habt, oder habt ihr nur versucht, neue Wege zu finden, um das Leben eures Volkes zu verbessern?«
»So mag es angefangen haben.« Er fuhr sich mit beiden
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