Gefangene der Dämmerung: Ravenwood 2 - Roman (German Edition)
völlig kalt, dass er im Gefängnis sitzt?«
April zupfte an einem losen Holzspan herum. Natürlich ließ es sie nicht kalt. Keineswegs. Allein die Vorstellung, dass er hinter Gittern saß, war entsetzlich, trotzdem kam sie über das Gefühl, aufs Übelste verraten worden zu sein, nicht hinweg. Ständig sah sie ihn vor sich, wie er die Hand hob und Jessicas Wange berührte – die Zärtlichkeit seiner Geste.
»Er bekommt, was er verdient«, sagte April und reckte trotzig das Kinn.
»Nimm dir das Ganze nicht so zu Herzen«, sagte Caro. »Mich hat er auch getäuscht. Ich dachte, er wäre anständig. Ich fasse es nicht, wie er mit einer anderen Frau rummachen konnte.«
Eine andere Frau.
Ohne es zu wissen, hatte Caro den Nagel auf den Kopf getroffen. Schlimm genug, dass er sie so schamlos betrogen hatte, insbesondere nachdem sie so viel für ihn aufs Spiel gesetzt hatte. Aber Jessica war eine erwachsene Frau, und die Tatsache, dass Gabriel sie mit ihr betrogen hatte, verstärkte in ihr das Gefühl, ihm nicht gewachsen zu sein. Gabriel mochte wie ein Siebzehnjähriger aussehen, aber in Wahrheit war er viel älter und erfahrener, ein erwachsener Mann – was April noch mehr irritierte als die Tatsache, dass er, rein technisch gesehen, kein lebender Mensch war.
»Glaubst du, er hat das getan, weil ich nicht gut küssen kann?«
Caro lachte, verstummte jedoch sofort, als sie sah, dass Aprils Frage ernst gemeint war. »Ich bitte dich. Natürlich nicht. Ihr beide habt doch auch schon Rachenmandel-Tennis gespielt, bevor er wieder zum Vampir geworden ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das getan hätte, wenn er es nicht schön gefunden hätte.«
»Aber woran lag es dann? Ich weiß ja, dass ich nicht so hübsch bin wie sie, außerdem hat sie eine Wahnsinnsfigur und …«
»Hey, hey.« Caro hob die Hände. »Das hatte rein gar nichts mit dir zu tun, April. So was darfst du gar nicht erst denken. Letzten Endes sind Männer eben Schweine. Lächerliche, erbärmliche Schweine.«
April hob die Brauen.
»Du hast dich auf der Party also auch nicht gut amüsiert?«
Caro schnaubte abfällig. »Nicht besonders. Du hattest wenigstens einmal Glück, auch wenn es nur vorübergehend war. Mich hat noch nicht mal einer angeschaut.«
»Aber du hast doch eine halbe Ewigkeit mit Simon getanzt«, gab April lächelnd zurück.
»Ha! Simon. Das soll wohl ein Witz sein. Nie im Leben, selbst wenn er der letzte Mann auf Gottes Erdboden wäre. Außerdem sind er und Ling doch ein Herz und eine Seele.«
»Mich dünkt, die Dame gelobt zu viel.«
»Richtig heißt es: ›Die Dame, wie mich dünkt, gelobt zu viel‹, Dummkopf. Wir sind in Ravenwood. Hier kann man es sich nicht leisten, Shakespeare falsch zu zitieren.«
»Wechsle jetzt nicht das Thema. Ich sehe doch, dass da noch etwas anderes ist.«
»Na ja, als alle ausgeflippt sind – überall rannten Polizisten herum und die Leute schrien –, kam Simon jedenfalls zu mir herüber, um zu schauen, ob mit mir alles in Ordnung ist.«
»Siehst du!«
»Ja, aber dann kam sofort Ling angelaufen und hat ihn wieder weggezerrt.«
»Vielleicht ist es ja unser Schicksal, allein zu bleiben.«
»Besser allein als tot, Schätzchen. Wie geht es dir überhaupt nach dem ganzen Chaos?«
April zuckte mit den Schultern.
»In einem Punkt hat Miss Holden jedenfalls recht. Ich bin jetzt ganz auf mich gestellt, deshalb muss ich zusehen, dass ich härter werde. Wenn Marcus tatsächlich jemandem erzählt hat, dass ich die Furie bin, werden sie über kurz oder lang zu mir kommen. Dagegen bin ich machtlos. Mag sein, dass ich diesen Virus in mir trage, aber deshalb kann ich noch lange nicht gegen eine ganze Armee von Vampiren ankämpfen. Bei Marcus hatte ich gerade noch mal Glück, aber gegen sie alle komme ich nicht an. Ich kann nur weiter versuchen, denjenigen zu finden, der meinen Vater getötet hat, und hoffen, dass ich den Regenten aufstöbere, bevor er mich schnappt.«
»Und herausfinden, wer wirklich hinter Ravenwood steckt.«
»Fang doch nicht wieder damit an. Das ist mir inzwischen schon völlig egal.«
»Wieso? Es ist wichtig.«
April schüttelte den Kopf. Sie war es leid, ständig von anderen Leuten gesagt zu bekommen, was wichtig war und wie sie sich zu verhalten hatte. »Nein, zumindest für mich nicht. Ich will nur den Blutsauger finden, der meinen Vater getötet hat.«
Caro runzelte die Stirn. »Aber sieh dich doch nur mal um, April … all diese Streber. Die Hälfte von denen sind solche
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